25.11.2011

Der Krise sei dank! Deutschland muss sich entscheiden: DM oder Europa.

Haben Sie bemerkt, dass die "Griechenlandkrise" nicht mehr so heißt? Es wird nun von "der Krise" und sogar von der "Euro-Krise" gesprochen. Dieser Begriffswandel zeugt vom kläglichen Scheitern des Krisenmanagements der selbst ernannten "Europa-Führung": Deutschlands und Frankreichs. Diesem Versagen liegt die nationale Selbstgefälligkeit zugrunde.

In Deutschland erleben wir z.Z. ihren Höhepunkt. Frau Merkel will aus dem eng begriffenen nationalen Interesse heraus die Euro-Anleihen nicht haben und sie wird in ihrer Weigerung von den zum beträchtlichen Teil irrational gewordenen nationalen Medien unterstützt. Die Presse reklamiert mittlerweile ganz ungeniert für Deutschland die Führung in Europa. Es wird sogar behauptet, dass die Europäische Kommission in der Frage der "Euro-Bons" der deutschen Bundesregierung nicht widersprechen darf... Als hätte die Europäische Kommission nicht die vertragliche Pflicht, europäische Politik zu gestalten. Sind die scheinbar gebildeten Deutschen, die jetzt über den überzeugten Europäer Barroso mit dem chauvinistischen Gelabber herziehen, aus allen Wolken gefallen? Ist die Welt ganz verrückt geworden oder doch nur der Großteil der Presse hierzulande?

Weder noch. Die Welt braucht uns Menschen samt der Bundesrepublik und der Europäischen Union gar nicht (sie regiert sich mit oder ohne uns - nach eigenen Gesetzen und oft auch ohne Gesetze). Was wiederum den nationalen Größenwahn der besagten Zeitungen angeht, so geht er darauf zurück, dass ihre Redakteure mit der gegenwärtigen Krise zum ersten Mal in ihrem Leben gezwungen sind, europäisch zu denken. An dieser für sie ganz neuen Aufgabe scheitern sie wie selbstverständlich. Denn bis vor Kurzem noch hatten sie die Europäische Union gebetsmühlenartig als eine Veranstaltung propagiert, in der die nationalen Interessen des bevölkerungsmäßig größten Landes Westeuropas am besten untergebracht sind. Das bedeutet, dass ihnen angesichts der riesigen Vorteile des Friedens und des gemeinsamen Marktes die deutschen Kosten der EU-Mitgliedschaft als sehr gering erschienen.

Die EU war unter dem entscheidenden Einfluss der Deutschen und Franzosen autoritär-undemokratisch und ökonomistisch konstruiert worden. Deshalb haben ihre Institutionen nach der Einführung der gemeinsamen europäischen Währung kläglich versagt. Die Verantwortung für das gemeinsame Geld hätte nämlich von wahrlich europäischen Institutionen übernommen werden müssen, die auf dem Gebiet der gesamteuropäischen Fiskalpolitik mit realer Macht und tatsächlicher Unabhängigkeit von den Nationalstaaten (auch von Deutschland und Frankreich) ausgestattet gewesen wären. Stattdessen wurde 1997 von den Ländern der Euro-Zone lediglich der "Stabilitätspakt" angenommen. Pakte und Verträge haben es jedoch an sich, dass sie verletzt werden können. zumal von den Großen.

Es war ausgerechnet die damals schon als die verkappte "Führungsmacht Europas" agierende Bundesrepublik unter dem (auf vielen Feldern) erstaunlich kurzsichtigen, prinzipienlosen und offenbar primär von nationalen Gefühlen getriebenen Kanzler Gerhard Schröder, die den europäischen Stabilitätspakt ausgehebelt hatte. Ihm ging es darum, die durch seine Regierung in den Jahren 2002-2005 massiv praktizierte Verletzung der Haushaltsdisziplin von entsprechenden europäischen Instanzen nicht mit Milliardenzahlungen bestrafen zu lassen. Es war sein Finanzminister, der durch die Medien lief und überall erzählte, dass die Maastricht-Kriterien "nicht so dogmatisch" zu verstehen sind. So gut wie niemand hatte damals gewarnt, dass durch die de facto Abschaffung des "Stabilitätspakts" der gleichen ökonomischen Schlamperei in einigen anderen, ebenso verantwortungslosen Ländern der Eurozone (Frankreich und Griechenland waren schon damals dabei) Vorschub geleistet würde. In der Logik des nationalen Egoismus galt es nur: Deutschland zahlt nicht die Strafe, die es verdient hatte, und die deutschen Waren können auch von den überschuldeten europäischen Südländern gekauft werden.

Heute kann man auch in der seriösen Presse lesen, dass die Bundesrepublik aus dem Duo mit Frankreich ausscheren und allein die Verantwortung für die EU übernehmen darf sowie soll, weil die deutsche Wirtschaft wesentlich besser als die französische dastünde. In ihrer nationalen Bedenkenlosigkeit übersehen die nicht untypischen Intellektuellen der Bundesrepublik, dass es augenblicklich gar nicht so viel dazu bedarf, sich ökonomisch besser als Frankreich zu präsentieren. Deutschland steht dabei nur so lange besser als Frankreich da, solange sein bereits schwächelndes Wirtschaftswachstum anhält. Dieses hängt wiederum am meisten davon ab, ob in der EU deutsche Produkte gekauft werden. Da die deutschen Exporte größtenteils Binnenausfuhren auf dem gemeinsamen europäischen Markt darstellen (niemand käme übrigens auf die Idee, die Ausfuhren Kaliforniens in die anderen US-Staaten zu den Exporten zu rechnen!), würden sie ohne die Käufer aus den überschuldeten bzw. hoch verschuldeten Ländern wie Italien, Spanien, Griechenland, Portugal, Ungarn, Frankreich u.a. dramatisch einbrechen. Das wäre auch das Ende jeglichen Wirtschaftswachstums. Und ohne dieses erscheint die Bundesrepublik als ein durchaus hoch verschuldetes, überbürokratisiertes, veraltetes, kinderloses (in einem viel stärkeren Maß als Frankreich) Land. An diesen Zuständen ändert die Tatsache nichts, dass viele Journalisten und Ökonomen den intelektuellen Professionalismus mit dem Patriotismus verwechseln, den sie wiederum fälschlicherweise als die Pflege der selbstgefälligen Wirklichkeitswahrnehmung verstehen.

So kommt es dazu, dass für die Vorteile des gemeinsamen Marktes die Bundesrepublik wesentlich mehr geben muss als bloß Garantien für Griechenland. So billig kommt sie nicht davon. Die teilweise (mit den anderen Ländern der Euro-Zone) Übernahme der Kosten für Euro-Anleihen wäre absolut notwendig - verbunden mit der Schaffung der besagten europäischen Institutionen, die die Verletzung der Haushaltsdisziplin der Euro-Länder sanktionieren könnte. Nun hat die bisherige Weigerung der Bundeskanzlerin in dieser Frage wohl am meisten dazu beigetragen, dass das Vertrauen der Märkte in die "Euro-Bons" ebenso verloren gegangen ist wie in die deutschen Staatsanleihen. Deutschland mit seinem nationalen Denken trägt somit die Hauptverantwortung für die Zeit, die für eine notwendige große EU-Reform möglicherweise fehlen wird. Es hat damit zum wiederholten Male gezeigt, was von vornherein klar war: Dass es sich mit seinem Anspruch auf die Führung in Europa schlichtweg übernimmt. Warum sollte es übrigens damit heute besser aussehen als in den dreißiger und vierziger Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts?

Die gegenwärtige Krise der EU kann nur auf eine wahrlich europäische Weise - mit einer Reform, die den souveränen europäischen Bund nicht zuletzt mit fiskalen Vollmachten schafft - gelöst werden. Ob Deutschland, von Frankreich (und auch anderen Ländern) ganz zu schweigen, das geistige Potenzial zu entwickeln vermag, eine solche institutionelle Neugestaltung anzustoßen und zu bewerkstelligen, muss bezweifelt werden. Es bleibt nur zu hoffen, dass die heutzutage anscheinend unvermeidbare Vertiefung der gegenwärtigen Krise langsam genug vonstatten geht, damit die Erkenntnis darüber, was getan werden muss, auch reifen kann. Offenbar können die deutschen Eliten nur dank dieser verheerenden Krise feststellen, was für Deutschland in Europa notwendig ist. Der Krise sei dank!

Wenn ein beträchtlicher nationaler Souveränitätstransfer auf den europäischen Bund nicht stattfindet, können wir uns vom Euro verabschieden. Ob die EU den Ausfall der gemeinsamen Währung überstehen würde, weiß man nicht, obwohl sich die Kanzlerin in dieser Frage sehr dezidiert sehr pessimistisch ausspricht. Sicher ist freilich, dass der Zusammenbruch von Euro und der EU Deutschland ungleich mehr als die Euro-Anleihen kosten würde. Wenn die politischen Eliten über die systemischen europäischen Interdependenzen lieber national fühlen als europäisch denken, dann muss das Volk eben zahlen. Vielleicht kriegt es auch eines Tages seine beliebte D-Mark wieder. Der Krise sei dank!

10.11.2011

Deutschland mit Russland gegen Europa

Vorgestern - am 8. November 2011 - ist die Ostsee-Pipeline North Stream in Betrieb genommen worden. Obwohl die deutschen Pressekommentare dazu manchmal durchaus kritische Töne enthalten, wird dieses Projekt hierzulande doch letztlich als "europäisch" verstanden, wozu auch die gezielte Propaganda der Bundesregierung beiträgt. Diese Propaganda entbehrt jedoch jeder Grundlage. Denn beim North Stream handelt es sich um ein in erster Linie deutsch-russisches Projekt, das vitale Interessen einiger europäischer Länder verletzt und überhaupt nicht europäisch ist.

Mit diesem Projekt verlieren Belarus und Polen jährlich einige Hundert Millionen Euro an Transitgebühren. Hätten die Politiker dieser Länder die geistige Beschaffenheit und Mentalität deutscher Eliten, würden sie schon aufgrund dieser Verluste nie zu protestieren aufgehört. Da sie aber nicht teutonisch gestrickt sind, haben sie begriffen, dass von Deutschland die finanziellen Interessen der manchmal als "Freunde" apostrophierten Staaten und Völker nicht berücksichtigt werden, wenn es selbst ein Geschäft mit Russland wittert (diese Mentalität erinnert übrigens sehr an die hierzulande immer noch sehr populären Stereotype über so manches Volk). Diesen nüchternen Befund transportieren nun die Eliten der genannten östlichen Ländern eifrig in die breite Welt.

Wesentlich mehr als Geld wiegt jedoch die so gut wie niemals angesprochene Tatsache: Mit North Stream werden besonders Belarus und die Ukraine zugunsten Russlands strategisch geschwächt. In Zukunft wird der Kreml diesen Ländern (und selbstverständlich auch Polen) den Gashahn zudrehen können, ohne auf die Kritik in Deutschland achten zu müssen. Denn in der Bundesrepublik werden die Probleme Osteuropas nur dann überhaupt wahrgenommen, wenn dabei deutsche Interessen - etwa eigene Versorgung mit Gas - bedroht sind. Deshalb stellt sich Deutschland mit der Ostseepipeline dezidiert auf die Seite des (neo-)imperialen Russlands und gegen jene Länder, die zwischen dem demokratischen Deutschland und dem autoritären Russland liegen. Die alte Tradition der deutschen Außenpolitik, die es bekanntlich sogar vermochte, zeitweilig eine Freundschaft zwischen Hitler und Stalin zu stiften, wird sodann fortgesetzt.

Diese Pipline birgt aber auch beträchtliche Gefahren für dieses meine Land in sich. Sie resultieren aus der eben erwähnten Mentalität, die dem Sinieren (vom "Denken" kann man in diesem Zusammenhang gar nicht sprechen) in Kategorien des pekuniär verstanden nationalen Egoismus inne wohnen. Wie die Regierungschefin vorgestern eröffnete: "Wir setzen auf eine sichere und belastbare Zusammenarbeit mit Russland". Das bedeutet offenbar, dass man sich der Gefahr der Erpressung seitens eines autoritären Staates aussetzen darf. Einige prominente Geistestitanen der deutschen Politik haben bereits diese Gefahr zu relativieren versucht: "Die Russen" würden nun auch abhängig werden, vom deutschen Geld eben. Es bleibt nur zu fragen, ob anzunehmen ist, dass die Bundesrepublik imstande und willens ist, den Kreml etwa mit der Aussetzung der Zahlungen zu erpressen. Und umgekehrt...?

Nicht dieses Projekt, das sich vielleicht noch nur als eine ökonomische Fehlinvestition erweisen wird, bedrückt aber am meisten. Überall in der Welt werden aus Fehlkalkulation und Gier heraus falsche Entscheidungen getroffen. Am Problem North Stream schmerzt eher der angedeutete Zustand der Eliten. Unsere Eliten versagen dabei, die Freiheit, in die sie hineingeboren sind, auch verantwortungsvoll zu nutzen, weil sie zum beträchtlichen Teil obrigkeitshörig und antieuropäisch sind. Wenn sie schon eine solche Missgeburt wie North Stream nicht zu verhindern trachteten, hätten sie sie zumindest rational kritisieren müssen. Diese abendländische Rationalität glauben die Angehörigen der hiesigen Eliten doch mit Muttermilch eingesogen zu haben (wie ihre stets sorgfältig verheimlichte Verachtung für Russland).

07.11.2011

Die Demokratie stirbt vor unseren Augen

Kluge Menschen wie Ralf Dahrendorf hatten lange vor den finanziellen Krisen der letzten Jahre festgestellt, dass die westliche Demokratie autoritäre Züge bekommt: Über wichtige Sachverhalte wird fern des Volkes und seiner Vertreter entschieden. Dahrendorf hatte dabei vor allem internationale Konzerne im Sinn, die die Macht der demokratischen Nationalstaaten unterminieren. Gewiss hat dieser spontane, schrittweise Abbau der Demokratie es mit der Globalisierung zu tun. Die Zusammenhänge, im Rahmen deren wichtige politische Entscheidungen getroffen werden können, sind gerade in der Wirtschaftspolitik oft supranational. Die Folge ist, dass nationalstaatliche, demokratisch legitimierte Instanzen auf vielen ökonomischen Gebieten bestenfalls noch reagieren können, zum Agieren sind sie kaum oder gar nicht mehr imstande.

Mittlerweile werden aber auch genuin politische Entscheidungen auf einem zutiefst undemokratischen Wege getroffen. Eigentlich kann man die Tatsache nicht übersehen, dass in der Europäischen Union, die niemals demokratisch war, mittlerweile sogar nicht der Schein bewahrt wird, dass demokratische Prinzipien und Institute etwas bedeuten. Dabei werden auf der EU-Ebene bekanntlich Entscheidungen von schier unermäßlichen Tragweite für die EU-Nationen getroffen. Wer trifft sie? Merkel und Sarkozy bzw. Merkel selbst. Wie werden sie getroffen? Häufig im Handygespräch. Die Demokratie im Westen Europas kommt auf den Hund.

Warum machen die Deutschen und die Französen keinen Aufstand dagegen? Weil sie als engstirnige Nationalisten es gut vertragen können, dass ausgerechnet ihre Politiker "Europa regieren". Warum widersetzen sich aber die anderen Völker dieser pseudodemokratischen Farce nicht? Weil sie sich als engstirnige Nationalisten darüber freuen, dass sie die Verantwortung für die Zukunft der EU nicht tragen müssen. Alle verbindet dabei eine Missachtung der demokratischen Grundsätze, die den nach wie vor an Sonntagen gehaltenen selbstgefälligen Predigten der politischen Prominenz widerspricht, die westlichen Gesellschaften seien demokratisch gesinnt (in Wahrheit haben sie keine Gesinnung: RTL liefert sie doch nicht).

Und Politologen? In Deutschland sind die meisten von ihnen verbeamtet und schreiben Aufsätze sowie Bücher über die westliche Demokratie, die die Welt retten sollte. Diese Publikation werden dann von Politologen gekauft und - seltener - gelesen.