18.03.2012

Gauck ist der einzige Pole in der politischen Elite Deutschlands

Wir haben ihn also, den neuen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Selten war die Zufriedenheit der Bürger und der politischen Elite zu Beginn der neuen Amtszeit des Staatsoberhauptes so groß wie heute: Gauck genießt einen riesigen Vertrauensvorschuss. Wenn man noch bedenkt, dass er parteilich überhaupt nicht gebunden ist und keinem Parteiführer sein Amt verdankt, ist er so frei, wie keiner seiner Vorgänger. Da er mehrfach bewiesen hat, dass er Freiheit nutzen kann, müsste eigentlich sein Erfolg vorprogrammiert sein.

Und trotzdem könnte er scheitern. Denn er gehört einer  in Deutschland extrem seltenen Spezies an. Im Osten der Republik wird diese Spezies von einer verschwindend kleinen Minderheit derjenigen gebildet, die früher gegen den Kommunismus waren und auch heutzutage keinerlei verlogene DDR-Nostalgie pflegen. Im Westen des Landes wiederum steht der neue Bundespräsident einer auf Genuss und leichtes Leben trainierten Bevölkerung gegenüber, die kaum über das Vermögen verfügt, das zu verstehen, was für Gauck - einen Boten der sinnvoll und anständig gelebten Freiheit - wichtig ist. Es grenzt vor diesem Hintergrund wirklich an ein Wunder, dass ein solcher Mensch das höchste Staatsamt ausgerechnet in diesem Land bekam.

Gauck ist mit seiner Freiheitsliebe eigentlich ein protestantischer Pole. Sollte diese Wahrheit jedoch hierzulande bekannt werden, wäre sie seinen Erfolgschancen abträglich - in Deutschland sind die Polen eben wegen ihrer Andersartigkeit nicht gerade beliebt. Was hilft Gauck die Tatsache, dass er sich in Polen in die zum großen Teil aus der größten antikommunistischen Bewegung Europas kommende Politkerklasse mit Tusk, Bartoszewski, Komorowski, Buzek (auch Protestant), Kaczynski, Sikorski und Hunderten anderen problemlos einfügen würde? Was hilft ihm in Deutschland, dass er wie die genannten Politiker sich von Ameisen vor allem dadurch unterscheidet, dass ihm Freiheit wichtiger ist als Sicherheit?

Da der neue Bundespräsident in der deutschen Elite der einzige Pole ist, hängt sein künftiger Erfolg primär davon ab, ob er die Begabung an den Tag legen wird, die viele polnische Politiker der ersten Reihe - für gewöhnlich very unprofessional - nicht haben. Es ist die Begabung, sich geschickt zu verstellen (er spricht z.B. bereits ganz gut Deutsch), und die für ihn wichtigen Themen nur indirekt, aber trotzdem deutlich anzusprechen. Wenn er das nicht schafft, werden Kontroversen, die er ungewollt anstoßen wird, die zunehmende Ablehnung des Präsidenten durch die Eliten (vor allem die Medienleute) und auch durch die Mehrheit des Volkes nach sich ziehen. Es sei denn, dem Volk ginge es materiell so gut, dass es kein Interesse daran zeigen würde, was der Präsident so redet.

09.03.2012

Nochmals der "Quadriga-Preis" für Wladimir Wladimirowitsch? - zweite Version

Erinnern Sie sich noch an den biederen Verein "Werkstatt Deutschland", der vor mehreren Wochen ausgerechnet Wladimir Putin mit dem "Quadriga-Preis" für seine "Verdienste für die Verlässlichkeit und Stabilität der deutsch-russischen Beziehungen" u.a.m. ehren wollte?

Vielleicht könnte das Kuratorium dieses mit der Regierung und überhaupt mit der offiziellen Politik eng verzwickten Vereins es jetzt nochmals versuchen. Putin hat gerade eine neue Wahlfälschung zu verantworten. Er braucht jetzt die Unterstützung seiner deutschen Freunde. Sonst könnte "die Verlässlichkeit und Stabilität der deutsch-russischen Beziehungen" Schaden nehmen.

02.03.2012

Das Gelächter über Putin ist nicht echt


Übermorgen Präsidentschaftswahlen in Russland. Noch niemals hatte Putin in Deutschland so eine schlechte Presse. Immerhin ein gutes Jahrzehnt hat man dem Mann in den Medien, der Politik und leider auch der Politikwissenschaft gewissermaßen gehuldigt. Nun scheint die Stimmung umzukippen. Trotz dieser neuen Nüchternheit in der Beurteilung der russländischen Führung kann man freilich von einem grundlegenden Stimmungswechsel gegenüber dem autoritären und neoimperialen Kreml nicht sprechen.

Solch ein grundlegender - nicht nur auf die Person des künftigen Präsidenten bezogener - Wandel könnte doch nur dann stattfinden, wenn in Deutschland Demokratie und Freiheit gute Zeit hätten. Da dies aktuell nicht der Fall ist, lacht man hierzulande zwar mittlerweile laut und ausgiebig über das Macho-Gehabe Putins sowie über die "Meinungsfreiheit" in Russland. Im Stillen hegt man jedoch (in der alten Tradition des politischen Zynismus, den man in Deutschland oft mit "Realpolitik" verwechselt) für Wladimir Wladimirowitsch viel Verständnis.

Deshalb wird man nach seinem Sieg am kommenden Sonntag wieder Überlegungen darüber auffrischen, wie er Russland "modernisieren" könnte, ohne es demokratisieren zu müssen. Und - auf der praktischen Ebene - wird man sich aufs Neue krampfhaft um Aufträge für deutsche Firmen im autoritär reigerten Russland bemühen.