25.04.2015

Der Völkermord an den Armeniern 1915-1916

Deutschland erwacht allmählich aus der Verlogenheit und feiert sich dabei selbst (man weiß nicht genau, was den Betroffenen wichtiger ist). In der Frage des Völkermordes, die für das vergangene Jahrhundert doch von einer gewissen Bedeutung ist, gibt es einen Wandel. Der massenhafte türkische Mord an Armeniern in den Jahren 1915-1916, der vom deutschen Kaiserreich irgendwie wohlwollend begleitet worden ist, wird ab jetzt offiziell und mit medialen Paukenschlägen als "Völkermord" ("Genozid") bezeichnet. Erwartet wird, dass sich obrigkeitshörige deutsche Eliten in Medien, Wissenschaft und wo auch immer auf diese nun "verbindliche" Nomenklatur einspielen werden.

Es sei bloß daran erinnnert, dass sich der Schöpfer der Genozid-Konvention der UNO vom 1948, der polnische Völkerrechtler Rafał Lemkin, bereits in den zwanziger Jahren mit dieser Art Verbrechen auseinandersetzte, wozu ihn ausgerechnet das tragische Schicksal der Armenier angeregt hatte.

Unvorstellbar, dass man in einem freien Land (nach Hitler) 70 Jahre gebraucht hat, um der Wahrheit gerecht zu werden. Geächtet seien die Mörder und ihre Unterstützer.

Władysław Bartoszewski ist tot

Einer der größten Europäer des 20. Jahrhunderts. Gefangener von Auschwitz, Retter von Juden in der Organisation Żegota, Gerechter unter den Völkern, Soldat der Heimatarmee, Teilnehmer des Warschauer Aufstandes 1944, Gefangener des Stalinismus, Internierter im Kriegszustand, Wegbereiter der deutsch-polnischen Aussöhnung, Publizist, Historiker, Politiker (zweimaliger Außenminister im freien Polen). Katholischer Christ. Bis zuletzt politisch und in der Öffentlichkeit aktiv. Er verstarb gestern (am 24. April 1915) im Alter von 93 Jahren, und erinnerte uns nochmals daran, was im Leben von Bedeutung ist.

18.04.2015

JERZY J. MAĆKÓW: Mein (und Andreas Umlands) Interview mit dem Schwe...

JERZY J. MAĆKÓW: Mein (und Andreas Umlands) Interview mit dem Schwe...: Diesen Text habe ich für das Interview, das vor einer Woche mit mir telefonisch durchgeführt wurde, autorisiert: Putins Interesse in ...

Mein (und Andreas Umlands) Interview mit dem Schweizer Rundfunk


Diesen Text habe ich für das Interview, das vor einer Woche mit mir telefonisch durchgeführt wurde, autorisiert:

Putins Interesse in der Ukraine ist es, das Land zu unterwerfen. Ein jahrelanger "hybrider Krieg" würde das Nachbarland schwächen und den Anschluss an den Westen unmöglich machen. Putin strebt meiner Meinung nach einfach nicht danach, das Land zu besetzen. Das kann sich Russland - ein Rentier-Staat ohne eine starke Volkswirtschaft - gar nicht leisten. Vielmehr möchte er die Entwicklung der Ukraine so beeinflussen wie unter Kutschma und Janukowytsch. Das Land soll zu einem willfährigen Satelliten Russlands werden. Das wäre die Maximalvariante. Die Minimalvariante aus Sicht Putins wäre es, wenn man sich aus den umkämpften Gebieten der Ost- und Südukraine zurückzieht, nachdem ein Landweg von Russland zur Krim gesichert wurde. So oder so, muss Putin aus innenpolitischer Sicht als Sieger aus dem Ukraine-Konflikt hervorgehen. Müsste Russland für den Wiederaufbau von Donbass Geld zahlen, wäre das nicht der Fall. Deshalb hat er auch an der Annexion vom Donbass augenblicklich kein ernsthaftes Interesse. Denn Donbass das sind Gebiete und Wirtschaftsstrukturen, die sehr lange subventioniert und reformiert werden müssten. Dabei würden wir von Summen sprechen, die um ein vielfaches höher wären als auf der Krim. Der Donbass dient Putin nur dazu, den Konflikt mit der Ukraine am Kochen zu halten. Denn die ursprüngliche russische Strategie ist in der Ukraine nicht aufgegangen – sogar auf der Krim wäre ohne das russische Militär kein Anschluss an Russland durchgesetzt worden. Offensichtlich hatte das russische Regime gehofft, dass die separatistischen Kräfte im Osten und Süden des größten westlichen Nachbars wesentlich stärker sind - und es hat sich verschätzt.

Russland ist von jeher ein Imperium (kein Nationalstaat) und Putin will diesen imperialen Charakter beibehalten. Was die Russen selbst ihre Kulturwelt - die "russische Welt" - nennen, basiert in etwa seit dem 15 Jahrhundert auf zwei Pfeilern: Despotie (uneingeschränkte Macht, die Herrschenden dürfen alles – den Gesetzen zum Trotz) und Imperialismus (Streben des Zentrums nach Erweiterung der Peripherie und nicht nach der Absicherung der eigenen Grenzen). Im Verständnis dieser Kulturwelt macht Putin derzeit vieles richtig. Nur was nutzt das Russland? Nichts. Putin löst keine Probleme, sondern schafft bloß neue. Er hat die Ukraine, die zwei bis drei Jahrhunderte lang unter russischer Herrschaft stand, für immer verloren. Er hat Russland mit dem Westen zerstritten. Er hat die NATO Russland gegenüber handlungsfähig gemacht. Er hat die EU politisch geeint. Sein Land wird international geächtet. Innenpolitisch führt er Russland konsequent in eine Krise, die die "russische Welt" in Frage stellen wird.

In der Krise der neunziger Jahren war das postsowjetische Russland bereits auf dem schwierigen, aber hoffnungsvollen Weg der Neuerfindung. Doch mit der damals sich abzeichnenden langen Gestaltung einer neuen, diesmal nationalstaatlichen Identität kam die Mehrheit der Russen nicht zurecht. Und dann kam Putin, der diese Entwicklung abwürgte. Für ihn war der Zerfall der Sowjetunion die grösste Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Unter seiner Ägide wurde die Inkompatibilität der "russischen Welt" mit der Modernität zu einem Tabu-Thema und die Erstgenannte heiliggesprochen. Die exorbitant gestiegenen Ölpreise haben es ihm zudem möglich gemacht, die in Russland populäre Ansicht zu verbreiten, die Zukunft Russlands liegt in seiner Vergangenheit.

Wenn Putin nicht mit dem Westen kooperieren will, dann wird er zum Vasallen Chinas - das behauptet Zbigniew Brzezinski. Zu Recht. Die Chinesen haben Russland im Jahre 2014 mehrmals unter die Arme gegriffen. Sie haben massiv den Rubel gestützt und mit Moskau einen Pipeline-Vertrag für Gaslieferungen geschlossen, dessen wahre Kosten für Russland bis heute eunklar sind. So macht sich der Kreml von den Abnehmern in der EU unabhängig und abhängig von China. Meiner Meinung nach muss eine solche Politik auf lange Sicht zum schrittweisen Souveränitätsverlust führen. Denn selbst für Europa und USA ist es schon schwer genug, dem neuen wirtschaftlichen Schwergewicht Paroli zu bieten. Wie soll das wirtschaftlich unterentwickelte Russland dann schaffen?

Aus meiner Sicht braucht Russland keinen Putin, sondern eine Wiederbelebung der von ihm aufgehaltenen Modernisierung. Diese lässt sich mit Importen von ebenso Lebensmitteln wie technologisch hochentwickelten Waren nicht gleichsetzen, selbst wenn die westliche Exporteure, vorzugsweise jene von Luxusautos, dies immer wieder tun. Echte Modernisierung setzt nämlich einen tief greifenden Gesellschafts- und Kulturwandel voraus, so wie er nach dem Kommunismus im Mitteleuropa erfolgreich eingeleitet bzw. vollbracht wurde. Für beides muss die Staatsmacht in Zusammenarbeit mit dem jungen Mittelstand sorgen. Er ist in Russland immer noch extrem schwach. Trotzdem verabscheut er bereits heute die allgegenwärtige Korruption des russischen Staates und äußert nach und nach seine politischen Partizipationswünsche. Da das Putinsche Regime jedoch vom Erhalt des oligarchischen status quo zehrt, will es keinen starken Mittelstand und auch keine Modernisierungspolitik.

Europapolitik: Putin wird weiter versuchen – so lange wie die Sanktionen gegen Russland in Kraft sind bzw. über diese entschieden werden soll - die EU zu spalten. Eine einheitlich handelnde EU kann er derzeit nicht gebrauchen. Wenn die Ukraine-Krise allerdings eines Tages vorbei sein sollte (woran ich in absehbarer Zeit nicht glaube), wird Putin eher an einer starken EU interessiert sein. Denn er braucht sie als Gegenpol zur USA. Selbst wenn es Putin ab und zu gelingt, den Westen zeitweilig zu spalten, ändert das nichts daran, dass seine 2014 vollbrachte politische Wende zum Scheitern verurteilt ist, obwohl diese Politik  20 Jahre und mehr dauern kann. Putins Absetzung könnte zwar ihr schnell ein Ende setzen, aber diese ist wenig wahrscheinlich. Der russische Präsident ist augenblicklich unersetzbar, was auch seine politischen Gegner in Russland wissen. Sein plötzlicher Abgang würde Russland wahrscheinlich ins Chaos stürzen. Es kommt hinzu, dass er nicht die Absicht hat, die Macht abzugeben und alles tun wird, sie beizubehalten. Ein Rücktritt ist für jemanden, der zur zentralen Figur eines verbrecherischen Regimes geworden ist, immer gefährlich.

Verhältnis zur USA: Die Vereinigten Staaten werden in Russland wieder als der Gegner Nummer eins dargestellt. Es ist ein Erbe der kommunistischen Zeit, das Putin nach Kräften befeuert. Darin drückt sich eine unglaubliche Doppelmoral der russischen Eliten aus. Sie lassen ihre Kinder und ganze Familien mit Vorliebe in den USA und überhaupt im westlichen Ausland leben, auch das Vermögen wird gern dahin geschafft, weil es dort sicher ist – aber Zuhause werden USA und Westen weiterhin als das Böse verkauft. Die Propagandamaschine diesbezüglich läuft auf Hochtouren und sie verfängt zum grossen Teil, weil sie sich perfekt in die "russische Welt", für die Russland einen Anspruch auf eine führende Stellung in der Welt hat, einfügt.
 
Überhaupt ist die Einstellung Russlands gegenüber den Vereinigten Staaten und dem Westen irrational. Denn nur die Europäer und die USA könnten echte Partner für Russland sein, zumal bei der gewaltigen Modernisierungsaufgabe. Sie wären auch die einzigen, die sich darüber freuen würden, es in der wirtschaftlichen und institutionellen Gemeinschaft zu begrüssen, und auch keinerlei territoriale Ansprüche hätten. Bei China sieht das schon wieder ganz anders aus. Denn Peking hat zum Teil berechtigte territoriale Ansprüche, die es möglicherweise eines Tages auch anmelden wird. Putin ist aber aus nachvollziehbaren Gründen eine "Internationale der Autokraten" wichtiger als eine echte Kooperation mit dem demokratischen Westen.

Daraus ist dieses publizierte Interview geworden:




08.04.2015

"Leviathan", "Ida" und Deutschland

Habe heute "Leviathan" von Andrej Swjaginzew gesehen. Dieser Film, der in Deutschland sehr gute bis phantastische Presse hat, läuft in Regensburg seit einer Woche (einmal pro Tag) in einem einzigen Programmkino und ist dort noch bloß ein Paar Tage zu sehen. Regensburg hat ca. 150 000 Einwohner und ist eine Universitätsstadt (knapp 20 000 Studenten). Heute teilte ich in der Metropole von Oberpfalz den Saal des besagten Kinos mit ... acht weiteren Menschen. Dem Aussehen der Besucher nach zu urteilen, gab es darunter eine einzige Person unter 50. Wahrscheinlich gibt es an einem einzigen Abend mehr Studenten, die sich in der ehrwürdigen Regensburger Altstadt betrinken, als solche, die sich während der vergangenen sieben Tage "Leviathan" angeschaut haben. Und wie viele Städte wie Regensburg gibt es in Deutschland?

"Leviathan" ist ein großartiger Film, in dem die Wirklichkeit der russischen Politik und Gesellschaft sehr intensiv und schonungslos vermittelt wird. In einem Land, in dem Russland (normalerweise leider einem Verbrecher, der dort an der Macht sitzt, gleichgesetzt) seit gut einem Jahr vielleicht das mediale Thema schlechthin darstellt, hätte man eigentlich erwartet, dass ein derartiges Ausnahmewerk mehr Interesse hervorruft.

Das Jahr 2014 brachte (zumindest) zwei ausgezeichnete Filme aus Mittel- und Osteuropa: eben "Leviathan" und "Ida" des polnischen Regisseurs Pawel Pawlikowski. Beide konkurrierten um den diesjährigen Oscar für den besten ausländischen Film. "Ida" gewann, und das wahrscheinlich verdient, weil es schlichtweg ein perfektes Filmdrama: vollkommenes Drehbuch, phantastisch gespielt, eigene Ästhetik, klug, eigenwillig, spannend, manchmal ironisch. "Leviathan" hat  hingegen "klitzekleine" Schwächen - vielleicht hätte man ihn zehn Minuten kürzer machen können. Trotzdem grenzt es an ein Wunder, dass ein solches Werk im Putinschen Russland gedreht und gezeigt werden konnte.

Beide Filme zeigen, wozu polnische und russische Filmkunst fähig ist. Die trotz der überschwänglichen Rezensionen winzige Resonanz beider Filme in Deutschland zeigt, wie wenig dieses Land an der Mitte und Osten Europas interessiert ist. Mit anderen Worten: Diese Resonanz zeigt, wie wenig europäisch Deutschland ist.