16.04.2020

Polnische Politik (und deutsche Medien) in Zeiten der Pandemie


Die PiS will den Weg für den Verzicht auf die Präsidentschaftswahlen am 10. Mai in Polen offen halten. Sie hält im Parlament eine Verfassungsnovelle bereit, nach der die Amtszeit des Staatsoberhaupts um zwei Jahre verlängert werden soll. Der Präsident dürfte nur einmal gewählt werden. Der aus der PiS stammende, populäre Andrzej Duda dürfte also in zwei Jahren nicht zum Wahlkampf um die zweite Amtszeit antreten.

Die von allen deutschen Journalisten, die über Polen berichten, mit Auslassungen und Überinterpretation unterstützte polnische Opposition will dagegen, dass die Regierung den Zustand der Naturkatastrophe (oder den Ausnahmezustand) verhängt, was für 30 Tage möglich ist; eine Verlängerung ist dann mit der Zustimmung des Parlaments möglich (für den Ausnahmezustand entsprechend 90 und 60 Tage). Die Opposition will Wahlen unbedingt im Herbst haben, da sie sich dann die Anhäufung von Wirtschaftsproblemen infolge der Pandemie und schlechte Unterstützungsquoten für Duda erhofft. Sie hofft zudem darauf, die Regierung des Ausnahmezustandes als "Diktatur" kritisieren zu dürfen. Deshalb hatte die Opposition den ihr bereits vor Wochen unterbreiteten Vorschlag abgelehnt, zusammen mit der Regierung die besagte Verfassungsnovelle einzureichen.

Meisterhaft hat der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński die Opposition ausgespielt - mit dem Projekt im Sejm hält er sie im Schach. Wenn sie gegen die Verfassungsnovelle der PiS stimmen würde, könnte sie die für den 10. Mai vorgesehene Briefwahl nicht wie bisher als "den Angriff der PiS auf das Leben der Polen" verunglimpfen.

Wie werden nun die deutschen Journalisten die polnische Opposition unterstützen? Sie werden darüber nicht schreiben, und wenn schon, dann im Kontext des Angriffs auf die Verfassung durch die PiS.

PS. Das polnischsprachige Springer-Portal onet.pl hatte die Information über diesen Schachzug von Kaczyński um . 8.30 Uhr als zentrale Nachricht publiziert. Eine Stunde später, als ich mit der Vorbereitung dieses Posts fertig war, hatte es sie bereits auf der Seite ganz unten.

08.04.2020

Wird Putin die Krise überstehen?



Mit der spektakulären Militärhilfe für das mit den tragischen Folgen der Pandemie ringende Italien versuchte Putin, international von der größten Krise seines Regimes, der ersten, von der ungewiss ist, ob er sie überstehen wird, abzulenken.

Offenbar wurde er Mitte Januar gezwungen, den Premierminister auszuwechseln. Zu viele Menschen in der russländischen Elite waren seit Jahren mit der Leistung des System Putin unzufrieden. Die Trennung vom Medwedew, dessen Treue zu seinem Herren den langjährigen Premier und zeitweilig den "Präsidentenersatz" unzählige Male über alle Schmerzgrenzen der Erniedrigung hatte gehen lassen, war erfolgt, ehe Coronavirus in Russland zum Hauptthema geworden ist.

Mit einem stillen Staatsstreich ließ Putin zwei Monate später die Verfassung ändern, um sich für die 12 Jahre nach 2024 die Herrschaft zu sichern. Er ist fest entschlossen, bis zu seinem letzten Atemzug an der Macht zu bleiben, weil ihm bewusst ist, dass er ansonsten eher oder später ins russische Gefängnis oder auf eine Laterne befördert sein würde. Es kommt hinzu, dass er wegen des Abschusses von MH-17 im Jahre 2014 durch ein holländisches Gericht belangt werden könnte. Es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht die kriminelle Befehlskette, die zum Tod von 298 Zivilisten geführt hatte, unnachgiebig nachverfolgen wird. Das würde in einen Auslieferungsgesuch münden. Es braucht Immunität.

Seitdem der Corona-Virus die Politik bestimmt, meidet der Mann, der ansonsten meisterhaft die Kunst beherrscht, mit den Medien umzugehen, öffentliche Auftritte. Wahrscheinlich kann man den russischen Zahlen über die Ausbreitung der Pandemie nicht glauben. Sicher ist demgegenüber, dass der russländische Gesundheitsdienst auf eine derartige Krise nicht vorbereitet ist. Putin tut also alles, um nicht zum Gesicht des Verantwortlichen für die Beilegung der Krise zu werden. Das ist neu.

Anders als nach den Protesten gegen die Wahlfarce im Dezember 2011 hat Putin jetzt nicht die Möglichkeit, mit einem kleinen Krieg oder einem Überfall auf ein anderes Land sowie mit der Propaganda die Russen in eine Hurra-Stimmung zu versetzen. Wenn es um ihr eigenes Leben geht, werden sie schon die Emotionen, die sie treiben, entweder beherrschen (der Propaganda nicht glauben) oder gegen den vermeintlichen Mann der Vorsehung richten. Damit ist der Präsident den wichtigsten Pfeiler seiner Macht los - die Lüge und die mutwillige Naivität seiner Untertanen.

Der andere Pfeiler - Gewalt - ist jetzt nur bedingt einsetzbar. Wegen Corona-Virus haben die Moskauer einen Ausgehverbot für einen Monat verpasst bekommen. Mehr als sonst sind die Russen also der aufmunternden Propaganda ihres Fernsehens ausgesetzt, der sie aber - wie dargelegt - nicht mehr glauben können...

Die Opportunisten im Putinschen Machtapparat erkennen diese Schwächen des Mannes, mit dem sie sich einst verbunden hatten. Sie wären nicht gerade gescheit, wenn sie sich nicht darüber Gedanken machen würden, was geschehen wird, wenn ihr untergetauchter Gönner sich nicht bald zur seiner Verantwortung für das Land in der Krise bekennt. Und was geschieht, wenn er sich dazu bekennt?

Systeme, die auf Lüge und Gewalt basieren, sind in Krisen nur dann stark, wenn sie beide Instrumente wirksam anwenden können. Wie kann es Putin heute tun?

Die Länge der Krise wird für sein politisches Schicksal entscheidend sein. Die zentrale Frage ist, ob der schleichende Zusammenbruch des Gesundheitsdienstes und der seit Jahren schwachen Wirtschaft mit den vorhandenen Geldreserven überstanden werden kann. Die wichtigste Quelle des scheinbaren Reichtums von Russland - Öl - ist augenblicklich trocken. Einige Experten behaupten, dass die Reserven nur für drei Monate reichen.

Aber - wie geschildert - es kommt nicht nur auf das Geld an. Vielmehr steht Putin im Zentrum eines Systems, das ohne ihn nicht funktionieren kann. Ob es mit der Krise von heute zurecht kommt, ist mehr als ungewiss. Eigentlich könnte das stark angeschlagene Italien Putin Hilfe leisten. Es wird die Koronakrise überstehen.

02.04.2020

Was ist positiv an der Coronavirus-Krise? (3)

Jede Krise ist auch eine heilende Zeit. Einige Ansätze der Genesung heutzutage sind so positiv, dass man sich fast wünschen möchte, dass die Krise sehr lange dauert: In Frankreich wurden die Arbeitslosen aufgefordert, den Bauern zu helfen (aus Ermangelung von ausländischen Arbeitern). In Deutschland will man dazu die Beschäftigten der Gastronomie ermutigen. Wird der Westen wieder gesund? Seine Krankheit ist so schwer...

Was ist positiv an der Coronavirus-Krise? (2)

Das Positive der Krise von heute: Wir erkennen die Stärke des Protektionismus. Alle waren jahrzehntelang für den "freien Handel" und gegen den Protektionismus, ebenso Politiker wie nachplappernde Gutmenschen. Dank diesem freien Handel essen wir der Tat billig den französischen Käse. Was wäre aber heute, wenn wir selbst keine Lebensmittel produziert hätten (nur dank den ökonomisch durchaus absurden Subventionen und der Abschottung des eigenen, d.h. des EU-Marktes sind wir dazu imstande)? Wir hätten nicht nur über den Mangel an Gesichtschutzmasken, sondern über Hunger gelästert... Wir helfen nicht unbedingt der Welt und uns selbst, wenn wir bedenkenlos den freien Handel fördern. Wir helfen damit den Starken der Wirtschaft und unseren (zu) niedrigen Preisen. Auf das Maß des Protektionismus und der Wirtschaftsöffnung kommt es an. Moderne Marktwirtschaft funktioniert in kleineren Einheiten gut, es muss nicht gleiche globale Wirtschaft sein.

Was ist positiv an der Coronavirus-Krise? (1)

Was ist positiv an der Krise? Positiv ist die Chance, die dämliche Wissenschaftsgläubigkeit aufzugeben. Wissenschaft ist Skepsis und Kritik, kein Glaube. Für den Glauben ist Religion zuständig (nicht minder wichtig als Wissenschaft, wahrscheinlich wichtiger). Sollen wir Gesichtsmasken tragen oder nicht? Welche Gesichtsmasken? Widersprüchliche Antworten der Wissenschaftler. Gut so. Nur in totalitären Staaten liefert die Wissenschaft immer die richtige Meinung. Nur in totalitären Staaten möchten die Regierenden den Eindruck erwecken, dass sie immer auf der Seite der Wissenschaft sind (oder umgekehrt). Die Erwartung, dass die Wissenschaft die einzig richtige Antwort kennt, gleicht der Annahme, dass das Robert-Koch-Institut immer Richtiges sagt. Es ist eine totalitäre Erwartung.