27.11.2021

"Die Ostgrenze der EU und das deutsch-polnische Verhältnis"



>Haben Sie vielen Dank für Ihre Mail und Ihren spannenden Text: Den Blick auf die Rolle der polnischen Opposition finde ich sehr originell, den Text würde ich gerne in den nächsten Tagen bei uns bringen.
 
Herzliche Grüße!<


Diese erfreuliche Nachricht habe ich vor zwei Wochen von "Die Welt" erhalten.


Eine Woche später erhielt ich die Nachricht von der gleichen Redaktion die folgende Nachricht:

 

>Vielen Dank für Ihre Erinnerung. Nein, der Text war nicht vergessen, keine Sorge – aber wir sind leider so ein bisschen von der Aktualität überrollt worden. Wir waren mehrfach schon kurz davor, Ihren Text einzuplanen, aber dann kam immer in letzter Sekunde etwas dazwischen, und nun haben wir so viel Berichterstattung dazu gehabt, und parallel hat sich die Situation an der Grenze gottlob etwas entspannt, dass ich nun leider doch auf Ihren Artikel verzichten möchte. Ich bitte vielmals um Verzeihung, das war so nicht geplant. 

 

Beste Grüße!<

 


Nun der besagte Kommentar: 


Der tückische Angriff auf Polen, Litauen und Lettland, den Wladimir Putin in Zusammenarbeit mit Aleksandr Lukaschenka durchführt, erfordert Plan, immense Logistik und Einsatz großer Ressourcen. Seinen gewagten Plan hätte Putin nicht verfolgt, wenn er für sein Ziel, die Europäische Union dazu zu zwingen, den belarussischen Wahlbetrüger und Unterdrücker seines Volkes anzuerkennen und für die Lösung des künstlich geschaffenes Migrationsproblems zu zahlen, keine Chancen erkannt hätte.

 

In einem Punkt ist sein Plan aufgegangen, nämlich in der Erwartung, dass die polnische Opposition als eine beträchtliche Kraft agieren würde, die die Lage an der Grenze dazu nützen würden, die eigene Regierung zu stürzen. Bereits im August fiel sie dem polnischen Grenzschutz in den Rücken. 

 

Oppositionelle Politiker, NGOs und Journalisten zogen an die Grenze zu Belarus, um zu beweisen, dass die Regierung „Flüchtlingskinder“ verhungern und verdursten sowie „schwangere Flüchtlingsfrauen“ im Freien gebären lässt, als trüge sie dafür Verantwortung, was auf der belarussischen Seite der Grenze geschieht. In den oppositionellen Medien – das sind die meisten in Polen – wurden die Grenzschützer, die an die Grenze abkommandierten Soldaten sowie Polizisten zuweilen als „Mörder“ und „Schande für das Land“ beschimpft. Dieser Rhetorik schloss sich medienwirksam der Großteil der polnischen Prominenten an, die von jeher die PiS bekämpfen.

 

Vor ihrer Machtübernahme im Jahre 2015 hatte allerdings auch die PiS keine Fähigkeit gezeigt, in einer Demokratie oppositionelle Arbeit zu betreiben. Statt sachliche Kritik zu üben und ein alternatives Regierungsprogramm zu entwerfen, beschränkte sie sich ein knappes Jahrzehnt lang darauf, die schwache Regierung von Donald Tusk als „unpatriotisch“ zu verunglimpfen. Sie deutete sogar an, dass der miserable Premierminister zusammen mit Putin für den Absturz des polnischen Regierungsflugzeuges am 10. April 2010 verantwortlich gewesen war, in dem u.a. der Staatspräsident Lech Kaczyński umkam.

 

2014 überraschte die PiS jedoch: Sie entwickelte ein tragfähiges Reformprogramm und stellte für die Wahlen im kommenden Jahr neue, unverbrauchte Kandidaten auf. Dann gewann sie überraschend die Präsidentenwahlen und gewann die absolute Mehrheit im Sejm zu gewinnen. Das war kein Ende der Überraschungen.

 

Denn die von der PiS dominierte konservative Koalitionsregierung hielt darüber hinaus als die erste im postkommunistischen Polen ihre Wahlversprechen ein, weshalb das Gerede von der „Glaubwürdigkeit in Politik“ in Polen nicht mehr Achselzucken und hervorruft. Die Regierung etablierte Sozialpolitik im Lande und sorgte für exzellente Wirtschafsentwicklung. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern stellte sie sich außenpolitisch konsequent gegen die Zusammenarbeit von Angela Merkel und Wladimir Putin (Nordstream 2) und – das ist für Polen am wichtigsten – erreichte eine beträchtliche Aufstockung der amerikanischen Militärpräsenz im Land. Obwohl einige ihrer innenpolitischen Reformen – besonders die seit 1989 fällige Umwandlung der maroden Justiz – ins Stocken geraten sind, haben sich die Regierungen von Beata Szydło und Mateusz Morawiecki als die erfolgreichsten und professionellsten im postkommunistischen Polen erwiesen. 

Trotz des Konflikts mit Deutschland stand für die Regierung Morawiecki die Option, die muslimischen Migranten, die bekanntlich in Polen nicht bleiben wollen, nach Deutschland durchzuwinken, niemals zur Debatte. Vielmehr reagierte sie auf die von Putin und Lukaschenka herbeigeführte und von der polnischen Opposition verschärfte Krise entsprechend dem europäischen Interesse am Aufhalten des Migrationsstroms: Ungeachtet des massiven Geschreis der Medien verhängte sie den Ausnahmezustand in den grenznahen Ostregionen des Ostens, sperrte die unmittelbare Grenzzone ab und baute im Juli im atemberaubenden Tempo provisorische Grenzbefestigungsanlage von 180 km Länge. Seitdem drängt sie die illegalen Grenzübertreter zurück.

 

Bis heute findet die polnische Regierung in der Opposition einen Feind. Diese verliert aber mit jedem Tag der Krise die Unterstützung in der Bevölkerung, weil selbst ihre Anhänger zu verstehen beginnen, dass den Politikern und Donald Tusk Polen und die EU weniger wichtig sind als die Rückkehr an die Macht.

 

Erst wenn sich diese Anhänger zu fragen beginnen werden, warum die Regierungen Merkel, Donald Tusk und die EU-Kommission die von der PiS angeführten Regierungen hartnäckig bekämpfen, wird es eine Aussicht auf die Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen geben. 


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