23.12.2011

Weihnachten vor Tür

Fast zur gleichen Zeit sind der bekannte Freiheitskämpfer Vaclav Havel und der Oberste KZ-Wächter im kommunistischen Korea Kim Jong Il gestorben. Obwohl beiden von Zeitzeugen menschliche Stärken und Schwächen nachgesagt werden, geht der eine als beinahe Heiliger und der andere als Monster von uns.

Eine bessere Denkvorlage zum ewigen Thema Gut und Böse im Leben und Tod hätte man sich nicht träumen können.

All meinen Lesern wünsche ich besinnliche Tage!

18.12.2011

Václav Havel ist tot

Am Václav Havel sollen wir uns messen und an Ihm sollen wir gemessen werden.

Der Mann oder die Frau, die auf diesem Kontinent leben und diesen Satz nicht verstehen, speisen von jener narzistischen Nichtigkeit, die gegenwärtig bloß deshalb unbesiegbar scheint, weil es im billigen Überfluss vorteilhaft erscheint, Nichts zu sein. Selbst dieser Mann und diese Frau, selbst diese Mehrheit zehrt aber letztlich von Havel.

Wenn sich das Leben, sei es einzeln oder kollektiv, in Not wie selbstverständlich zur Substanz verdichtet, wird der kühne warme Geist Vascheks wieder gefragt - und unverzichtbar. Wie früher schon die Geister von "Gilgamesch, Hektor, Roland/ die das reich ohne grenze als auch die stadt der asche verteidigt haben".

11.12.2011

Cameron, Kaczyński, Merkel und andere Verfechter des nationalen Egoismus

Einzig England blockierte während des Brüsseler Gipfels am 8./9. Dezember jene EU-Reform, die trotz ihrer offensichtlichen Schwächen (über die notwendige Demokratisierung Europas wurde kein Wort verloren) den einzig bekannten Versuch darstellt, den Euro und die EU zu retten. David Cameron habe durch sein beharrliches Auftreten für englische Nationalinteressen sein Land an den Rand der Belanglosigkeit in der Europäischen Union hinaus manövriert - so etwa ist der Grundton der Kommentare in unseren Medien nach dem besagten Gipfeltreffen. Aber zugleich beschwört der "Bundespräsident Wulff ... die EU-Mitglieder, am engen Verhältnis zu Großbritannien festzuhalten". Besonders unsere braven Öffentlich-Rechtlichen bringen deshalb trotz allem auch das Verständnis für politische Zwänge ein, denen der prime minister zu Hause ausgesetzt ist.

Wie anders waren die Reaktionen der deutschen Medien während des ebenso Brüsseler Gipfels im Juni 2007, als sich die politische Führung Polens weigerte, die deutschen Vorschläge für eine EU-Reform anzunehmen. Damals ging es um die "doppelte Mehrheit", die die Stimmengewichtung im Rat zugunsten Deutschlands, Frankreichs, Englands und Italiens (und auf Kosten kleinerer Länder, darunter vor allem Polens) verschob. Warschau, von Tschechien unterstützt, schlug dagegen einen arithmetisch gerechteren (Deutschland durchaus stärkenden) Kompromiss vor, dass das Stimmengewicht im Rat nach der Quadratwurzel der Bevölkerungszahl berechnet werden sollte. Kübelweise schüttelte man daraufhin über "die polnischen Zwillinge" Dreck aus. Stefan Ulrich in der "Süddeutsche" war den Kaczyński-Brüdern gegenüber noch gnädig: "Den europäischen Staaten läuft die Zeit davon, wenn sie den Globus mitgestalten und ihr Zivilisations-Modell erhalten wollen. Sie können sich nur gemeinsam behaupten - und sie können nicht mehr warten, bis das auch die Herren Kaczynski verstehen". Unter dem "unseren Zivilisationsmodell" verstand der imperiale Journalist offenbar jenes genuin europäische Schuldenmachen, das heute den ganzen Globus in eine Krise stürzt und die Europäer dazu bringt, auf das Geld der chinesischen Kommunisten zu hoffen. Und auch die Bundeskanzlerin setzte damals die deutschen Interessen der europäischen Zivilisation gleich: Sie schlug während des Gipfels allen Ernstes vor, die doppelte Mehrheit gegen die Stimme Polens, d.h. auf einem vertragswidrigen Weg anzunehmen.

Es lohnt an diese Geschichte zu erinnern, damit niemand über das "europäische" Ergebnis des letzten Brüsseler Gipfels in Verzückung gerät. Auch heute geht es primär um deutsche (und französische) und gar nicht um genuin europäische Interessen. Auch heute wird die EU von Deutschland (und Frankreich und anderen) als Mittel und nicht als Zweck der Politik betrachtet. Auch heute denkt Merkel genauso egoistisch wie Cameron und Jarosław Kaczyński (der nun in Polen unsinnigerweise gegen den heutigen polnischen Regierungschef Donald Tusk wettert, der wiederum - wie viele andere europäische Politiker auch - aus der Sorge um den Zerfall der EU heraus die deutsch-französischen Vorschläge unterstützt).

Fazit. Unsere europäische Zukunft hängt von den national-kleinkarierten Geistern ab, die Mal so und Mal so handeln oder schreiben oder talken, je nachdem, aus welcher Ecke ihnen der nationale Wind zu wehen scheint. Deutschland und Frankreich werden dabei erst dann aufhören, kleine Länder und Länder mittlerer Größe zuweilen wie Vasallen zu behandeln, wenn die Europäische Union ein demokratischer Souverän wird. Diese EU-Demokratisierung wird wiederum nicht stattfinden, wenn die kleinen und mittleren Staaten genauso kleinkariert-national bleiben wie die Großen. Von Polen jedenfalls sind in absehbarer Zeit keine richtungsweisenden Impulse zu erwarten.

08.12.2011

Nochmals der Quadriga-Preis für Putin?

Erinnern Sie sich noch an den biederen Verein "Werkstatt Deutschland", der vor mehreren Wochen ausgerechnet Wladimir Putin mit dem Quadriga-Preis für seine "Verdienste für die Verlässlichkeit und Stabilität der deutsch-russischen Beziehungen" u.a.m. ehren wollte?

Vielleicht könnte das Kuratorium dieses mit der Regierung und überhaupt mit der offiziellen Politik eng verzwickten Vereins es jetzt nochmals versuchen. Putin lässt augenblicklich die Demonstranten gegen seine Wahlfälschung prügeln und verhaften. Er braucht jetzt die Unterstützung seiner deutschen Freunde. Sonst könnte "die Verlässlichkeit und Stabilität der deutsch-russischen Beziehungen" Schaden nehmen.

Helmut Schmidt und seine Europa-Rede

Helmut Schmidt hat sich (wieder) gemeldet. Seinem edlen Alter durchaus angemessen, erscheint er oft als ein Mann des 20. Jahrhunderts, der sich dagegen wehrt, die gegenwärtigen Realitäten anzuerkennen. Es passt in dieses Bild sehr gut, dass er auf dem Fernsehschirm wohl am häufigsten zu seinen Gefühlen vom Oktober 1977, als er das grüne Licht für das gewaltsame Befreien der deutschen Flugzeuggeiseln in Mogadischu gegeben hatte, befragt wird. Aber er äußert sich auch gern zur Gegenwart. Als würde es keine Globalisierung geben, die doch auch und besonders für die deutsche Politik internationale Zusammenhänge sehr verdichtet hat, wettert er oft und mit Vorliebe dagegen, dass sich die Bundesrepublik außerhalb Europas militärisch engagiert. In seinen wirtschaftlichen Analysen ist er dagegen stets up to date, was sowohl bewundernswert ist als auch die universitäre Ökonomie der Bundesrepublik, die ihre Blindheit für die wirtschaftlichen Probleme der Gegenwart oft zur Schau gestellt hat, beschämen könnte.

Diesmal - auf dem SPD-Parteitag am. 3. Dezember - hat der politisch 1982 gescheiterte Altbundeskanzler einige Gedanken über Europa formuliert. Diese Gedanken stammen zwar auch vom 20. Jahrhundert, aber sie wirken in diesem Europa-skeptischen Land trotzdem erfrischend. Leidenschaftlich und ohne Rücksicht auf die Stimmungen im Lande (auch auf die absehbaren plumpen Kommentare, mit denen die meist jugendlich-nationalistischen Internetforen auf seinen Auftritt reagiert haben) plädierte Schmidt für die wahre europäische Solidarität. Deutlich wie niemand hierzulande erklärte er u.a. die finanzielle Hilfe für Griechenland zur nationalen Pflicht Deutschlands. Dabei berief er sich auf europäische Geschichte und die verhängnisvolle Rolle, die für diese Deutschland im 20. Jahrhundert gespielt hatte.

Die auf Willensstärke beruhende Überzeugung und Glaubwürdigkeit konstruieren die Größe dieses Mannes, selbst wenn er gar nicht so selten irrt und seinen Kritikern gegenüber zuweilen auf schroffe Weise ungerecht ist (ich weiß, wovon ich rede, weil er auch auf mein Urteil über seine völlig verfehlte Polen-Politik der siebziger und achtziger Jahre recht plump reagierte). Daran, dass seine aktuellen Äußerungen zur Krise in Europa trotzdem großen Respekt verdienen, ändern diese seinen früheren Fehler jedoch nichts.

Das eine Problem mit seiner Rede besteht eher darin, dass er in einem Land geschichtlich argumentiert, das der Geschichte mit Vorliebe entflieht. Anders gesagt: Seine Argumentation ist zu tiefsinnig, als dass die Chance bestünde, mit ihr den Otto-Normalverbraucher zu überzeugen. Das andere Problem ist grundsätzlicher Natur: Schmidt will die Deutschen für Europa gewinnen, indem er national argumentiert. Den Schritt hin zum wahrlich europäischen Denken hat er nicht getan (kein Wunder beim Menschen seiner Generation).

Obwohl also der Altbundeskanzler die besagte Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit ausstrahlt, die heute der politischen Prominenz in allen europäischen Ländern gänzlich abhanden gekommen zu sein scheint, wird seine Rede nichts bewirkt haben. Falsch! Sie wird doch eine gewisse Wirkung entfalten. Sie wird nämlich den künftigen Historikern ein Beweis (unter unzähligen anderen) dafür sein, dass in der dramatischsten und verhängnisvollsten Krise unserer Union die rationalen Argumente die meisten Menschen nicht zu erreichen vermochten. Den denkenden Politikern von heute wird sie zugleich die Mahnung sein: Sie sollen das Richtige tun, selbst wenn die Masse nicht mitzieht.

Werden diese Politiker die dazu notwendige Schmidtsche Willensstärke haben?