03.12.2013

Aktueller Bericht aus Kiew vom 3.12.13

Nach dem Scheitern des Misstrauensvotums gegen den Premierminister Azarow laufen in der Ukraine zwei politische Prozesse parallel ab. Auf der einen Seite gehen die Proteste und Demonstrationen weiter, wobei Organisatoren - die Opposition - dafür sorgen muss, dass sie nicht auslaufen. In Kiew bedeutet es, dass die Menschen auf dem Majdan stets beschäftigt werden müssen: mit Übertragung der Parlamentsdebatten, mit Musik, ab und zu mit notwenigen Auftritten der bekannten Oppositionspolitiker. Heute hatte ich beispielsweise die Gelegenheit, zwei Mal (vor der Werchowna Rada und später eben auf dem Majdan) Klitschko zu hören. Er ist ein miserabler Redner, aber die Menschen sehnen sich nach einem nicht-politischen Volkstribun, weshalb selbst einem millionenschweren Boxer, der gerechte Löhne fordert, zugejubelt wird. Das soll aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der vermeintlichen Revolution ein charismatischer Führer fehlt.






Der Druck von unten soll die Forderung nach dem Rücktritt der Regierung und ggf. vorgezogenen Präsidentschaftswahl erhöhen. Auf der anderen Seite versuchen die Machthaber, ihre Anhänger im Lande zu mobilisieren. Es sind aber bloß die Politiker und Abgeordnete in einigen Regionen (etwa auf der Krim, woher heute die Forderung nach dem Ausnahmezustand kam), die sich nun melden. Dass Putin in Bezug auf die Ereignisse in der Ukraine von "Pogromen" spricht, hilft der ukrainischen Opposition.

Opposition ohne eine unumstrittene Führungspersönlichkeit vs. Macht, hinter der in der Bevölkerung ausschließlich die Passiven - d.h. aber in Normalzeiten die Mehrheit - steht.

Die Zeit wird entscheiden, welcher der skizzierten Prozesse endgültig Oberhand gewinnt, wobei die Machhaber offenbar auf die frostige Müdigkeit der Demonstranten hoffen. Es wird immer kälter.



Jedenfalls ist es augenblicklich schwer vorstellbar, dass der Staat die Gewalt anwenden sollte. Je dauerhafter die erwähnten Prozesse, desto schwächer das Machtlager. Es ist davon auszugehen, dass selbst im Gewaltapparat Zweifel an dieser Regierungsmannschaft wachsen. Dies gilt aber nur dann, wenn der Druck von unten nicht nachlässt, was kein Selbstläufer sein muss.

Wie dieser Konflikt auch ausgehen mag, die Hoffnung auf ein Systemwechsel und eine EU-Integration der Ukraine ist ohnehin voreilig. Die Ukraine wird nur dann den europäischen Integrationsweg einschlagen, wenn sie eine handlungsfähige Reformregierung bekommt. Danach sieht es überhaupt nicht aus. Der Populismus triumphiert im Land doch nicht erst seit vorgestern. Insofern geht es bei dieser Krise, die bis dato nichts mit einer Revolution zu tun hat, zunächst darum, sie zu lösen. Wenn dabei ein Regimewechsel stattfindet, dann wird es ein schöner Erfolg sein. Dass aber Klitschko oder Tymoschenko (die Letztgenannte hat nach meiner Überzeugung große Chancen, freigelassen zu werden, falls der Protest nicht abreisst), Reformpolitiker werden, kann ich mir schlichtweg nicht vorstellen. Wie während de Orangegen Revolution 2004 ist auch heute eine politische Gegenelite nicht in Sicht. Nur die Rechtsradikalen - die Swoboda - haben sich offenbar als eine ganz normale politische Kraft etabliert.

Und noch ein Paar Bilder "Kiew von unten" - aufgenommen heute.








Mehr auf meiner Facebookseite.