19.02.2012

Zuerst "Gauck for President!", dann Volkswahl des Präsidenten

Überall in parlamentarischen Systemen sind Regierungschef und Staatsoberhaupt zumindest insofern Konkurrenten, als sich der eine auf Kosten des anderen profitieren kann. Es ist so, obwohl gute Verfassungen es verhindern können, dass beide auf gleichem Feld zu Konkurrenten werden.

Deutschland widerspricht - mit der Ausnahme des Duos Kohl-von Weizsäcker in den achtziger Jahren - diesem "Gesetz". Die deutsche Besonderheit geht nicht darauf zurück, dass der Bundespräsident beinahe ausschließlich repräsentative Vollmachten hat und selbst über kaum etwas entscheidet. Das íst bei Staatsoberhäuptern nichts Außergewöhnliches. Vielmehr ist die Tatsache von Bedeutung, dass der Bundespräsident de facto die Schöpfung des Kanzlers darstellt - eine einmalige Entwürdigung des Amtes und eine Beledigung für jedes nicht staatgläubige Volk.

Das deutsche Oberhaupt ist unter funktionalen Gesichtspunkten in normalen Zeiten noch unbedeutender als der englische Monarch. Denn im symbolischen Sinne ist die Queen ein lebendes Denkmal Englands. Der deutsche Bundespräsident muss sich dagegen die Popularität erarbeiten. Er kann überhaupt Konturen gewinnen, wenn er für sich Themen findet, die zwar von gesellschaftlicher Bedeutung, aber zugleich für den Regierungschef nicht so wichtig sind. Darüber darf er frei sprechen. Würde er sich der "Regierungsthemen" kritisch annehmen, ist der Konflikt mit dem Kanzler vorprogrammiert. Das sich die Kreatur selten gegen den Schöpfer stellt, bleibt von Weizsäcker im "System Kohl" die Ausnahme.

Da sich der durchschnittliche deutsche Bürger auch seitens des Staates nichts sehnlicher zu wünschen scheint als die Bestätigung seines vermeintlich großartigen Wesens, soll das Staatsoberhaupt noch die Integrität eines Beinahe-Heiligen haben. Auf einen solchen Mann will er aufschauen, um sich in ihm "wieder finden" zu können. In einer fortschreitend entideologisierten Gesellschaft können zudem noch Kleider und Tattoos seiner Ehefrau eine zunehmend große Rolle bei Popularitätsgewinnung des Bundespräsidenten spielen.

Angela Merkel hat sich als kein guter Demiurg erwiesen. Das ist nicht zuletzt daran zu erkennen, dass sie bereits zwei durchaus unperfekte Schöpfungen hingelegt hatte. Zuerst war es Horst Köhler, ein sehr erfolgreicher Finanzexperte, einnehmend, integer und im Volk sehr populär. Er wollte sich aber die Freiheit nicht nehmen lassen, seine Meinung zu äußern. Als er eben aus diesem Grund von den meisten Medien, die ihre oft schlichtweg unvernünftig-verlogenen nationalen Tabus pflegen, regelrecht demontiert wurde, schmiss er das Amt, zumal ihn die Schöpferin im Regen alleine stehen ließ. Der Kanzlerin fiel daraufhin nichts Gescheiteres ein, als einen Parteisoldaten, der ihr ansonsten zum Konkurrenten hätte werden können, zum Repräsentanten Deutschlands zu machen. Aber Christian Wulff war zuvor ein Ministerpräsident gewesen, was ohne Kontakte mit den - wie Kohl sie zu nennen pflegte - "Bimbesleuten" nicht geht. Und nun stellt sich heraus, dass Wulff deren Gesellschaft offenbar sehr mochte, unabhängig davon, ob das kitschige Hotelzimmer in Fichte oder Plüsch gehalten war. Trotz Popularität im Volk konnte er die Vorwürfe der Vorteilsnahme nicht aussitzen, zumal er es sich sehr ungeschicht mit den Medien anstellte.

Augenblicklich hat Deutschland Glück. Die Kanzlerin sieht sich dazu gezwungen, bei ihrer nächsten Schöpfung das Prinzip der Überparteilichkeit mit zu bedenken. Dieses fällt ihr offensichtlich nicht leicht, aber es gibt noch Chancen dafür, dass Deutschland endlich einen Bundespräsidenten bekommt, der sowohl die Regierung als auch die Medien als auch die Opposition überhören kann, wenn er zu irgendeinem Sachverhalt Stellung beziehen möchte.

Zur Zeit ist Joachim Gauck der Favorit des Volkes. Wie immer in dieser Frage, scheint diese Tatsache die Parteien kaum etwas zu kümmern - sie setzen auf die in der Tat erstauntliche Hörigkeit vieler Deutschen. Merkel und Teile der CDU wollen Gauck nicht, weil sie ihn schon einmal abgelehnt haben. Die SPD wiederum stand nie so richtig hinter ihm - sie hatte ihn früher vorgeschlagen, um der Kanzlerin bei der Durschsetzung ihres eigenen Kandidaten Probleme zu bereiten. Heute bevorzugen die Sozialdemokraten deshalb einen wie auch immer gearteten Deal mit Frau Merkel.

Nur durch den lauten Ruf nach Gauck kann Deutschland einen Präsidenten bekommen, den ein sich selbst achtendes Volk verdienen würde. Denn es geht hier weniger um die Person des Kandidaten, sondern vielmehr um die Aufwertung unseres Repräsentanten. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Amt tatsächlich und auf Dauer gestärkt wird, wird freilich erst dann groß sein, wenn der Bundespräsident direkt vom Volk gewählt wird. Wenn aber jemand glaubt, Frau Merkel oder irgendein anderer Parteiführer würde sich für die Volkswahl des Staatsoberhauptes einsetzen, dem ist nicht zu helfen.

17.02.2012

Ein deutsches Kinderspiel: Wie oft mache ich den Bundespräsidenten?

In der Tat zeugt dieser Abgang des Bundespräsidenten - der zweite in der Reihe (in einem Entwicklungsland?) - von der strukturellen Schwäche des Amtes, und das Schweigen der Medien darüber zeugt von der Unfähigkeit hierzulande, (selbst)kritisch zu denken. Mit ukrainischen Problemen (also mit echten Problemen) konfrontiert, würde diese bundesdeutsche Demokratie nicht unbedingt von Dauer sein.