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07.05.2020

Zentralismus und Pandemie

In der Pandemie-Situation scheinen sich zentralisierte Staaten am besten zu bewähren. Dazu gehört auch Deutschland, dessen zentralistischer Föderalismus häufig provokativ als ein "verkappter Unitarismus" bezeichnet wird. Deutschland ist ein föderaler Staat, dessen Bevölkerung dem Unitarismus huldigt. In normalen Zeiten führt das zum Übergewicht des Bundes, der die wunderbare, freiheitliche Vielfalt des Landes erdrückt. In der Pandemie macht dieses Übergewicht es aber möglich, dass die Länder ihre Handlungen freiwillig koordinieren. Auch ein schwacher, de facto der Macht beraubte Kanzler bekommt dann seine - in diesem Fall ihre - Chance. Die Regierungschefin, die nichts vertritt und zu nichts steht, wird dann plötzlich zum idealen Kanzler der Pandemie. Denn sie wird gebraucht, damit sie vermittelt, vereinheitlicht, koordiniert. Sie hat zumindest ein Jahrzehnt lang gezeigt, dass sie gleichsam von ihrem Naturell zu nichts Anderem fähig ist.
Das Gegenpol zum deutschen zentralisierten Föderalismus bildet der amerikanische Föderalismus, der sich durch eine echte Vielfalt und die stark begrenzte Macht des Bundes auszeichnet (eine sozialdarwinistische Mentalität der Bevölkerung kommt hinzu). Mit einem das Land polarisierenden und nicht gerade gescheiten Präsidenten versagt dieses System in den Zeiten der Pandemie gänzlich. Während in Deutschland sogar das klägliche intellektuelle, personelle und politische Desaster der Bundesregierung in den ersten Wochen der Pandemie auf dem Weg der Maßnahmenkoordinierung scheinbar problemlos behoben werden konnte, rutschten die USA in eine tragische Lage ab, in der die Macht der Bundesstaaten ausufert und koordinierte Maßnahmen des Bundes nicht möglich sind. Horrende Todeszellen sind dann die Folgen (auch Arbeitslosigkeit ist unglaublich hoch, gerade für die USA: 35 Mln von 130 Mln der arbeitenden Bevölkerung!). Für den Virus, der bekanntlich nicht auf die territorialen Grenzen achtet, ist das eine wunderbare Chance.
Damit korrigiere ich leicht meine Einschätzung von früher, da ich behauptete, der Unitarismus sei besser als der Föderalismus für die Bekämpfung der Pandemie geeignet. Es muss nicht der Unitarismus (wie bei den neuen EU-Staaten, in denen er in den Zeiten der Pandemie sogar viel besser als der deutsche zentralisierte Föderalismus funktioniert) sein, Hauptsache - der Zentralismus.

15.12.2012

Erfolg oder Sumpf? Polen-Reihe 1: Über die föderale Idee Piłsudskis, den Sumpf bzw. den großartigen Erfolg Polens.

Für die (Vor- und Nach-)Weihnachtszeit habe ich mich dazu entschlossen, hier über Polen zu schreiben. Denn es ist in den letzten Jahren für Deutschland und Europa noch wichtiger geworden als es ohnehin gewesen war. Es wird noch wichtiger werden. Darüber hinaus hatte ich vor einigen Wochen über Polen zu sprechen gehabt, so dass mir augenblicklich leicht fällt, einige Gedanken zu diesem Land zu formulieren. Die "Polen-Reihe" wird mit der Beantwortung der in diesem Post gestellten Frage beendet sein. 

http://en.wikipedia.org/wiki/Jozef_Pilsudski
Ein großer polnischer Geist, der „Staatschef“ von 1918-1922, Józef Piłsudski, warb im Ersten Weltkrieg für die föderale Neuordnung von „Intermare“, wie er den Raum zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer nannte. Piłsudski wollte Polen in eine Föderation jener Staaten einbinden, die dort auf den Trümmern gescheiterter Imperien entstanden. Da er in seinem ukrainischen Verbündeten Symon Petlura keinen ausreichend starken Partner zur Verwirklichung dieser Pläne gefunden hat, sah er sich dazu gezwungen, 1921 die Ukraine zwischen Polen und dem bolschewistischen Russland zu teilen. 

http://en.wikipedia.org/wiki/Symon_Petliura
Daraufhin besuchte er die im polnischen Szczypiorno internierten ukrainischen Offiziere, die vor Kurzem noch an seiner Seite gegen die Bolschewiki gekämpft hatten, um ihnen einen einzigen Satz zu sagen: „Ich entschuldige mich bei Ihnen, meine Herren, ich entschuldige mich sehr“. Es war dieses Fiasko der föderalen Idee, die Piłsudski trotz seines großartigen Sieges über das bolschewistische Russland im Jahre 1920 zur Vorhersage hingerissen haben mag: „Ich habe das Rad der Geschichte für 20 Jahre aufgehalten“. Die Katastrophe des Jahres 1939 hat ihm Recht gegeben.

Und dennoch hat Polen im Jahre 1989 – also sechs Jahrzehnte nach dieser Katastrophe – seine Unabhängigkeit wieder erlangt. Nur scheinbar widerlegt diese Tatsache die Konzeption Piłsudskis. Denn die erst zwei Jahrzehnte junge polnische Freiheit wird durch die Realität gewordene föderale Idee geschützt – diesmal die (gesamt?)europäische. Die Europäische Union entzieht der auf die Vernichtung Polens abzielenden deutsch-russischen Zusammenarbeit in einem noch größeren Maße den Boden als der ursprüngliche „Intermare“-Föderalismus. Die Mitgliedschaft Polens in der NATO kommt noch hinzu, in der es ausgerechnet Deutschland als einen Bündnispartner vorfindet.
Die Freiheit Polens schien besonders nach dem Januar-Aufstand 1863, dem seit dem ausgehenden XVIII. Jahrhundert dritten verlorenen polnischen Kampf um die Unabhängigkeit (die napoleonischen Kriege und den Völkerfrühling nicht mitgerechnet) eine „romantische“ Chimäre zu sein. Damals, vor knapp 150 Jahren stellte sich der Dichter Cyprian Kamil Norwid im französischen Exil die Frage: 
(http://en.wikipedia.org/wiki/Cyprian_Kamil_Norwid
 
„Was hat sich nicht verändert/ seitdem ich die Welt betrachte/ Ist denn alle Wirklichkeit/ bloß der Vorführung entracte?/ Leben – bloß des Sterbens Weile? Jugend – Tag der grauen Haare?/ Vaterland? Sind es bloß seine tragischen Jahre?“

Wir werden niemals erfahren, welcher literarischen Gattung dieses 1882 in einem Pariser Armenhaus verstorbene Genie die polnische Wirklichkeit nach 1989 zugeordnet hätte: immer noch der Tragödie, der Komödie oder vielleicht der Farce.
http://en.wikipedia.org/wiki/Zbigniew_Herbert

Ein gegenwärtiger großer polnischer Dichter, Zbigniew Herbert, verfasste zu dieser Wirklichkeit 1995 das „Ratlosigkeit“ betitelte Gedicht. Den Anlass dazu lieferten ihm die Vorwürfe gegen den damaligen Premierminister der Republik Polen, Józef Oleksy, er hätte für das KGB und das FSB spioniert.

Herbert bekannte die Absicht, seinen postkommunistischen Premierminister „mit dem wohlwollenden Gesichts des Abts/ in einem kommerziellen Kloster“ zum Duell herauszufordern. Er verwarf diesen Gedanken jedoch. Denn 
Józef Oleksy

„hier nirgendwo/ gibt es gestampfte erde/ es ist schwer/ die pathetische geste/ Eugen Onegins nachzuahmen/ wenn man versinkt/ bis zu den Knien/ bis zum Hals/ im Sumpf“.

Ist Polen tatsächlich zum Sumpf verkommen? Oder stellt es in den letzten zwei Jahrzehnten – wie ausgerechnet in der Polen gegenüber oft so unfreundlichen deutschen Presse seit einigen Jahren immer wieder lautstark behauptet – das europäische Erfolgsland schlechthin dar?





Fortsetzung folgt