Ich mag Joachim Gauck sehr. Ich schätze ihn auch sehr, neben seinem Charakter auch seine außergewöhnlichen rhetorischen Fähigkeiten. Umso mehr tut es mir leid, dass er - offenbar unwissentlich - das uneträglich kollektivistische Nazi-Wort "asozial" benutzt, das er gerade in den Zusammenhang der Hoeneß-Affäre gebracht hat.
Das Wort zeugt von der andauernden Kontinuität des durch den Nationalsozialismus geprägten deutschen Kollektivismus. Im nationalsozalistischen Deutschland galten Homosexuelle, Prostituierte, Landstreicher, Bettler und Roma als "asozial" und sie wurden dafür zum Teil mit Tod bestraft. Die Roma fielen dieser härtesten Bestrafung - in Vernichtungslagern - zumindest hundert Tausend Mal zum Opfer.
Für alle Gegner des Kollektivismus ist klar: Wenn jemand als Roma geboren wird und lebt, ist er/sie nicht als asozial zu beschimpfen. Wenn jemand homosexuell ist oder sich prostituiert, soll man nicht annehmen, dass er/sie es gegen das soziale Umfeld tut. Auch Landstreicher oder Bettler kann man ebenso freiwillig wie unfreiwillig werden, ohne dass die Mehrheit das Recht hat, jemanden dafür zu beschimpfen oder auszuschließen.
Nur Kollektivisten, die die Menschen nicht als einzelne Personen zu sehen imstande sind, erkennen im Handeln derjenigen, die nicht angepasst sind bzw. anders als die meisten leben, etwas Inakzeptables. Die Nationalsozialisten haben es sehr gut verstanden, diese spießigen Apostel des Kollektivismus im deutschen Volk auf ihre Seite zu ziehen. Und diese Spießer liefen ihnen gern nach.
Wer Steuer hinterzieht, betrügt den Staat und die Gemeinschaft. Dieser Satz reicht als moralisches Urteil über die Steuerhinterzieher vollkommen aus. Man braucht dazu nicht den Jargon des nationalsozialistischen Gesindels. Das soll ausgerechnet der Bundespräsident wissen.
Man soll gegen den Strom schwimmen. Mit dem Strom schwimmt der Müll. (Zbigniew Herbert)
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01.05.2013
20.02.2013
Joachim Gauck an der Regensburger Universität
Gestern - am 19. Februar - fand an der Uni Regensburg ein Treffen mit unserem Bundespräsidenten Joachim Gauck statt. Dieser außergewöhnliche Mann, den wir nur einer außergewöhnlichen politischen Konstellation vor einem Jahr und zum Glück nicht der Entscheidung der Bundeskanzlerin verdanken (siehe dazu meine hier vor einem Jahr veröffentlichten Posts; etwa: http://jerzy-mackow.blogspot.de/2012/02/zuerst-gauck-for-president-dann.html), machte auch in Regensburg einen tollen Eindruck: einnehmend, witzig, natürlich. Alles in allem ergab jedoch die Diskussion "über Europa", in der das Staatsoberhaupt bloß eine Statistenrolle spielte, nichts. Das zentrale Problem Europas, das der Präsident am Anfang der Runde noch direkt ansprechen konnte - "die Mauer in Köpfen" -, wurde so gut wie nicht thematisiert. Die Veranstaltung wurde deshalb zur einer ausgerechnet bei dieser Person und diesem Amt ganz unnötig untertänig wirkenden Selbstdarstellung der Universität vor dem Hohen Gast. Damit blieben der Intellekt und die rhetorische Begabung Joachim Gaucks unterfordert.
Schade. Denn der mit der Erfahrung des Kommunismus "gesegnete" ostdeutsche Antikommunist Joachim Gauck hätte unter anderen Bedingungen sicher einen glänzenden Gesprächspartner zum Thema Europa abgegeben. Gauck versteht es: Was für das Verhältnis Westdeutschland-Ostdeutschlands gilt, gilt auch zumindest teilweise für das Verhältnis Deutschland-Europa. Hierzulande wird jedoch das immer noch eklatante Scheitern der kulturell-geistigen Integration von Westen und Osten Deutschlands tausendfach konstatiert, ohne dass kritisch nachgefragt wird, woran es liegt. Hätte man aber diese Frage gestellt, dann könnte man aus diesem deutschen Scheitern recht viel für Europa lernen. Denn das Desinteresse der Westdeutschen an Ostdeutschland (die auch an unserer Uni offensichtlich ist) und die westdeutsche Vermischung von Westdeutschland mit Deutschland haben die gleichen zwei Ursachen wie das Desinteresse der Westeuropäer an Mittel-, Südost-, Nordost- und Osteuropa: Ignoranz und Arroganz.
Die Ignoranz bezieht sich vor allem auf die Geschichte, die Geographie und das Verständnis für die Besonderheiten der Entwicklungen in "den östlichen Ländern". Die Arroganz entspringt wiederum der Sozialpsychologie der Vermeintlich Besser Entwickelten. Diese Ignoranz und Arroganz führen dazu, dass die Westdeutschen (bzw. die westeuropäischen EU-Mitglieder) immer noch von der Mauer (der alten EU) träumen, die sie zudem allen Ernstes von jeher für "Deutschland" ("Europa") halten.
Aus diesen Sachverhalten ergeben sich Fragen, die jeder universitären Diskussion über Europa gut täten: Wie soll man über die europäische Identität ausgerechnet in Deutschland, wo der Geschichtsunterricht in Schulen de facto abgeschafft worden ist, überhaupt sprechen? Oder: Wie kann man in einer materialistischen Arbeits- und Spaßgesesellschaft den idealistischen Einsatz für Europa fördern? Oder auf die Uni bezogen: Wie kann man die "westlichen" Studenten für die Veranstaltungen und Studiengänge, die sich mit "dem Osten" beschäftigen, begeistern, wenn die meisten von ihnen nicht nur die "osteuropäische", sondern auch die eigene Geschichte nicht kennen und trotzdem in ihrer Gesellschaft Spaß und Erfolg haben können? Last but not least: Wie soll man solche feinen Zielsetzungen anstreben an einer dauerhaft unterfinanzierten Universität, die sich längst zu einer Massenfortbildungsstätte für beinahe Hälfte der jungen Erwachsenenpopulation entwickelt hat?
Nur wenn man sich mit solchen Fragen beschäftigt, beschäftigt man sich auch mit der europäischen Wirklichkeit. Und sie kann niemanden, der europäisch denkt, zufrieden stellen. Der einfachste bzw. billigste Weg, der Unzufriedenheit zu entkommen, ist Selbstlob.
Schade. Denn der mit der Erfahrung des Kommunismus "gesegnete" ostdeutsche Antikommunist Joachim Gauck hätte unter anderen Bedingungen sicher einen glänzenden Gesprächspartner zum Thema Europa abgegeben. Gauck versteht es: Was für das Verhältnis Westdeutschland-Ostdeutschlands gilt, gilt auch zumindest teilweise für das Verhältnis Deutschland-Europa. Hierzulande wird jedoch das immer noch eklatante Scheitern der kulturell-geistigen Integration von Westen und Osten Deutschlands tausendfach konstatiert, ohne dass kritisch nachgefragt wird, woran es liegt. Hätte man aber diese Frage gestellt, dann könnte man aus diesem deutschen Scheitern recht viel für Europa lernen. Denn das Desinteresse der Westdeutschen an Ostdeutschland (die auch an unserer Uni offensichtlich ist) und die westdeutsche Vermischung von Westdeutschland mit Deutschland haben die gleichen zwei Ursachen wie das Desinteresse der Westeuropäer an Mittel-, Südost-, Nordost- und Osteuropa: Ignoranz und Arroganz.
Die Ignoranz bezieht sich vor allem auf die Geschichte, die Geographie und das Verständnis für die Besonderheiten der Entwicklungen in "den östlichen Ländern". Die Arroganz entspringt wiederum der Sozialpsychologie der Vermeintlich Besser Entwickelten. Diese Ignoranz und Arroganz führen dazu, dass die Westdeutschen (bzw. die westeuropäischen EU-Mitglieder) immer noch von der Mauer (der alten EU) träumen, die sie zudem allen Ernstes von jeher für "Deutschland" ("Europa") halten.
Aus diesen Sachverhalten ergeben sich Fragen, die jeder universitären Diskussion über Europa gut täten: Wie soll man über die europäische Identität ausgerechnet in Deutschland, wo der Geschichtsunterricht in Schulen de facto abgeschafft worden ist, überhaupt sprechen? Oder: Wie kann man in einer materialistischen Arbeits- und Spaßgesesellschaft den idealistischen Einsatz für Europa fördern? Oder auf die Uni bezogen: Wie kann man die "westlichen" Studenten für die Veranstaltungen und Studiengänge, die sich mit "dem Osten" beschäftigen, begeistern, wenn die meisten von ihnen nicht nur die "osteuropäische", sondern auch die eigene Geschichte nicht kennen und trotzdem in ihrer Gesellschaft Spaß und Erfolg haben können? Last but not least: Wie soll man solche feinen Zielsetzungen anstreben an einer dauerhaft unterfinanzierten Universität, die sich längst zu einer Massenfortbildungsstätte für beinahe Hälfte der jungen Erwachsenenpopulation entwickelt hat?
Nur wenn man sich mit solchen Fragen beschäftigt, beschäftigt man sich auch mit der europäischen Wirklichkeit. Und sie kann niemanden, der europäisch denkt, zufrieden stellen. Der einfachste bzw. billigste Weg, der Unzufriedenheit zu entkommen, ist Selbstlob.
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18.03.2012
Gauck ist der einzige Pole in der politischen Elite Deutschlands
Wir haben ihn also, den neuen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Selten war die Zufriedenheit der Bürger und der politischen Elite zu Beginn der neuen Amtszeit des Staatsoberhauptes so groß wie heute: Gauck genießt einen riesigen Vertrauensvorschuss. Wenn man noch bedenkt, dass er parteilich überhaupt nicht gebunden ist und keinem Parteiführer sein Amt verdankt, ist er so frei, wie keiner seiner Vorgänger. Da er mehrfach bewiesen hat, dass er Freiheit nutzen kann, müsste eigentlich sein Erfolg vorprogrammiert sein.
Und trotzdem könnte er scheitern. Denn er gehört einer in Deutschland extrem seltenen Spezies an. Im Osten der Republik wird diese Spezies von einer verschwindend kleinen Minderheit derjenigen gebildet, die früher gegen den Kommunismus waren und auch heutzutage keinerlei verlogene DDR-Nostalgie pflegen. Im Westen des Landes wiederum steht der neue Bundespräsident einer auf Genuss und leichtes Leben trainierten Bevölkerung gegenüber, die kaum über das Vermögen verfügt, das zu verstehen, was für Gauck - einen Boten der sinnvoll und anständig gelebten Freiheit - wichtig ist. Es grenzt vor diesem Hintergrund wirklich an ein Wunder, dass ein solcher Mensch das höchste Staatsamt ausgerechnet in diesem Land bekam.
Gauck ist mit seiner Freiheitsliebe eigentlich ein protestantischer Pole. Sollte diese Wahrheit jedoch hierzulande bekannt werden, wäre sie seinen Erfolgschancen abträglich - in Deutschland sind die Polen eben wegen ihrer Andersartigkeit nicht gerade beliebt. Was hilft Gauck die Tatsache, dass er sich in Polen in die zum großen Teil aus der größten antikommunistischen Bewegung Europas kommende Politkerklasse mit Tusk, Bartoszewski, Komorowski, Buzek (auch Protestant), Kaczynski, Sikorski und Hunderten anderen problemlos einfügen würde? Was hilft ihm in Deutschland, dass er wie die genannten Politiker sich von Ameisen vor allem dadurch unterscheidet, dass ihm Freiheit wichtiger ist als Sicherheit?
Da der neue Bundespräsident in der deutschen Elite der einzige Pole ist, hängt sein künftiger Erfolg primär davon ab, ob er die Begabung an den Tag legen wird, die viele polnische Politiker der ersten Reihe - für gewöhnlich very unprofessional - nicht haben. Es ist die Begabung, sich geschickt zu verstellen (er spricht z.B. bereits ganz gut Deutsch), und die für ihn wichtigen Themen nur indirekt, aber trotzdem deutlich anzusprechen. Wenn er das nicht schafft, werden Kontroversen, die er ungewollt anstoßen wird, die zunehmende Ablehnung des Präsidenten durch die Eliten (vor allem die Medienleute) und auch durch die Mehrheit des Volkes nach sich ziehen. Es sei denn, dem Volk ginge es materiell so gut, dass es kein Interesse daran zeigen würde, was der Präsident so redet.
Und trotzdem könnte er scheitern. Denn er gehört einer in Deutschland extrem seltenen Spezies an. Im Osten der Republik wird diese Spezies von einer verschwindend kleinen Minderheit derjenigen gebildet, die früher gegen den Kommunismus waren und auch heutzutage keinerlei verlogene DDR-Nostalgie pflegen. Im Westen des Landes wiederum steht der neue Bundespräsident einer auf Genuss und leichtes Leben trainierten Bevölkerung gegenüber, die kaum über das Vermögen verfügt, das zu verstehen, was für Gauck - einen Boten der sinnvoll und anständig gelebten Freiheit - wichtig ist. Es grenzt vor diesem Hintergrund wirklich an ein Wunder, dass ein solcher Mensch das höchste Staatsamt ausgerechnet in diesem Land bekam.
Gauck ist mit seiner Freiheitsliebe eigentlich ein protestantischer Pole. Sollte diese Wahrheit jedoch hierzulande bekannt werden, wäre sie seinen Erfolgschancen abträglich - in Deutschland sind die Polen eben wegen ihrer Andersartigkeit nicht gerade beliebt. Was hilft Gauck die Tatsache, dass er sich in Polen in die zum großen Teil aus der größten antikommunistischen Bewegung Europas kommende Politkerklasse mit Tusk, Bartoszewski, Komorowski, Buzek (auch Protestant), Kaczynski, Sikorski und Hunderten anderen problemlos einfügen würde? Was hilft ihm in Deutschland, dass er wie die genannten Politiker sich von Ameisen vor allem dadurch unterscheidet, dass ihm Freiheit wichtiger ist als Sicherheit?
Da der neue Bundespräsident in der deutschen Elite der einzige Pole ist, hängt sein künftiger Erfolg primär davon ab, ob er die Begabung an den Tag legen wird, die viele polnische Politiker der ersten Reihe - für gewöhnlich very unprofessional - nicht haben. Es ist die Begabung, sich geschickt zu verstellen (er spricht z.B. bereits ganz gut Deutsch), und die für ihn wichtigen Themen nur indirekt, aber trotzdem deutlich anzusprechen. Wenn er das nicht schafft, werden Kontroversen, die er ungewollt anstoßen wird, die zunehmende Ablehnung des Präsidenten durch die Eliten (vor allem die Medienleute) und auch durch die Mehrheit des Volkes nach sich ziehen. Es sei denn, dem Volk ginge es materiell so gut, dass es kein Interesse daran zeigen würde, was der Präsident so redet.
19.02.2012
Zuerst "Gauck for President!", dann Volkswahl des Präsidenten
Überall in parlamentarischen Systemen sind Regierungschef und Staatsoberhaupt zumindest insofern Konkurrenten, als sich der eine auf Kosten des anderen profitieren kann. Es ist so, obwohl gute Verfassungen es verhindern können, dass beide auf gleichem Feld zu Konkurrenten werden.
Deutschland widerspricht - mit der Ausnahme des Duos Kohl-von Weizsäcker in den achtziger Jahren - diesem "Gesetz". Die deutsche Besonderheit geht nicht darauf zurück, dass der Bundespräsident beinahe ausschließlich repräsentative Vollmachten hat und selbst über kaum etwas entscheidet. Das íst bei Staatsoberhäuptern nichts Außergewöhnliches. Vielmehr ist die Tatsache von Bedeutung, dass der Bundespräsident de facto die Schöpfung des Kanzlers darstellt - eine einmalige Entwürdigung des Amtes und eine Beledigung für jedes nicht staatgläubige Volk.
Das deutsche Oberhaupt ist unter funktionalen Gesichtspunkten in normalen Zeiten noch unbedeutender als der englische Monarch. Denn im symbolischen Sinne ist die Queen ein lebendes Denkmal Englands. Der deutsche Bundespräsident muss sich dagegen die Popularität erarbeiten. Er kann überhaupt Konturen gewinnen, wenn er für sich Themen findet, die zwar von gesellschaftlicher Bedeutung, aber zugleich für den Regierungschef nicht so wichtig sind. Darüber darf er frei sprechen. Würde er sich der "Regierungsthemen" kritisch annehmen, ist der Konflikt mit dem Kanzler vorprogrammiert. Das sich die Kreatur selten gegen den Schöpfer stellt, bleibt von Weizsäcker im "System Kohl" die Ausnahme.
Da sich der durchschnittliche deutsche Bürger auch seitens des Staates nichts sehnlicher zu wünschen scheint als die Bestätigung seines vermeintlich großartigen Wesens, soll das Staatsoberhaupt noch die Integrität eines Beinahe-Heiligen haben. Auf einen solchen Mann will er aufschauen, um sich in ihm "wieder finden" zu können. In einer fortschreitend entideologisierten Gesellschaft können zudem noch Kleider und Tattoos seiner Ehefrau eine zunehmend große Rolle bei Popularitätsgewinnung des Bundespräsidenten spielen.
Angela Merkel hat sich als kein guter Demiurg erwiesen. Das ist nicht zuletzt daran zu erkennen, dass sie bereits zwei durchaus unperfekte Schöpfungen hingelegt hatte. Zuerst war es Horst Köhler, ein sehr erfolgreicher Finanzexperte, einnehmend, integer und im Volk sehr populär. Er wollte sich aber die Freiheit nicht nehmen lassen, seine Meinung zu äußern. Als er eben aus diesem Grund von den meisten Medien, die ihre oft schlichtweg unvernünftig-verlogenen nationalen Tabus pflegen, regelrecht demontiert wurde, schmiss er das Amt, zumal ihn die Schöpferin im Regen alleine stehen ließ. Der Kanzlerin fiel daraufhin nichts Gescheiteres ein, als einen Parteisoldaten, der ihr ansonsten zum Konkurrenten hätte werden können, zum Repräsentanten Deutschlands zu machen. Aber Christian Wulff war zuvor ein Ministerpräsident gewesen, was ohne Kontakte mit den - wie Kohl sie zu nennen pflegte - "Bimbesleuten" nicht geht. Und nun stellt sich heraus, dass Wulff deren Gesellschaft offenbar sehr mochte, unabhängig davon, ob das kitschige Hotelzimmer in Fichte oder Plüsch gehalten war. Trotz Popularität im Volk konnte er die Vorwürfe der Vorteilsnahme nicht aussitzen, zumal er es sich sehr ungeschicht mit den Medien anstellte.
Augenblicklich hat Deutschland Glück. Die Kanzlerin sieht sich dazu gezwungen, bei ihrer nächsten Schöpfung das Prinzip der Überparteilichkeit mit zu bedenken. Dieses fällt ihr offensichtlich nicht leicht, aber es gibt noch Chancen dafür, dass Deutschland endlich einen Bundespräsidenten bekommt, der sowohl die Regierung als auch die Medien als auch die Opposition überhören kann, wenn er zu irgendeinem Sachverhalt Stellung beziehen möchte.
Zur Zeit ist Joachim Gauck der Favorit des Volkes. Wie immer in dieser Frage, scheint diese Tatsache die Parteien kaum etwas zu kümmern - sie setzen auf die in der Tat erstauntliche Hörigkeit vieler Deutschen. Merkel und Teile der CDU wollen Gauck nicht, weil sie ihn schon einmal abgelehnt haben. Die SPD wiederum stand nie so richtig hinter ihm - sie hatte ihn früher vorgeschlagen, um der Kanzlerin bei der Durschsetzung ihres eigenen Kandidaten Probleme zu bereiten. Heute bevorzugen die Sozialdemokraten deshalb einen wie auch immer gearteten Deal mit Frau Merkel.
Nur durch den lauten Ruf nach Gauck kann Deutschland einen Präsidenten bekommen, den ein sich selbst achtendes Volk verdienen würde. Denn es geht hier weniger um die Person des Kandidaten, sondern vielmehr um die Aufwertung unseres Repräsentanten. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Amt tatsächlich und auf Dauer gestärkt wird, wird freilich erst dann groß sein, wenn der Bundespräsident direkt vom Volk gewählt wird. Wenn aber jemand glaubt, Frau Merkel oder irgendein anderer Parteiführer würde sich für die Volkswahl des Staatsoberhauptes einsetzen, dem ist nicht zu helfen.
Deutschland widerspricht - mit der Ausnahme des Duos Kohl-von Weizsäcker in den achtziger Jahren - diesem "Gesetz". Die deutsche Besonderheit geht nicht darauf zurück, dass der Bundespräsident beinahe ausschließlich repräsentative Vollmachten hat und selbst über kaum etwas entscheidet. Das íst bei Staatsoberhäuptern nichts Außergewöhnliches. Vielmehr ist die Tatsache von Bedeutung, dass der Bundespräsident de facto die Schöpfung des Kanzlers darstellt - eine einmalige Entwürdigung des Amtes und eine Beledigung für jedes nicht staatgläubige Volk.
Das deutsche Oberhaupt ist unter funktionalen Gesichtspunkten in normalen Zeiten noch unbedeutender als der englische Monarch. Denn im symbolischen Sinne ist die Queen ein lebendes Denkmal Englands. Der deutsche Bundespräsident muss sich dagegen die Popularität erarbeiten. Er kann überhaupt Konturen gewinnen, wenn er für sich Themen findet, die zwar von gesellschaftlicher Bedeutung, aber zugleich für den Regierungschef nicht so wichtig sind. Darüber darf er frei sprechen. Würde er sich der "Regierungsthemen" kritisch annehmen, ist der Konflikt mit dem Kanzler vorprogrammiert. Das sich die Kreatur selten gegen den Schöpfer stellt, bleibt von Weizsäcker im "System Kohl" die Ausnahme.
Da sich der durchschnittliche deutsche Bürger auch seitens des Staates nichts sehnlicher zu wünschen scheint als die Bestätigung seines vermeintlich großartigen Wesens, soll das Staatsoberhaupt noch die Integrität eines Beinahe-Heiligen haben. Auf einen solchen Mann will er aufschauen, um sich in ihm "wieder finden" zu können. In einer fortschreitend entideologisierten Gesellschaft können zudem noch Kleider und Tattoos seiner Ehefrau eine zunehmend große Rolle bei Popularitätsgewinnung des Bundespräsidenten spielen.
Angela Merkel hat sich als kein guter Demiurg erwiesen. Das ist nicht zuletzt daran zu erkennen, dass sie bereits zwei durchaus unperfekte Schöpfungen hingelegt hatte. Zuerst war es Horst Köhler, ein sehr erfolgreicher Finanzexperte, einnehmend, integer und im Volk sehr populär. Er wollte sich aber die Freiheit nicht nehmen lassen, seine Meinung zu äußern. Als er eben aus diesem Grund von den meisten Medien, die ihre oft schlichtweg unvernünftig-verlogenen nationalen Tabus pflegen, regelrecht demontiert wurde, schmiss er das Amt, zumal ihn die Schöpferin im Regen alleine stehen ließ. Der Kanzlerin fiel daraufhin nichts Gescheiteres ein, als einen Parteisoldaten, der ihr ansonsten zum Konkurrenten hätte werden können, zum Repräsentanten Deutschlands zu machen. Aber Christian Wulff war zuvor ein Ministerpräsident gewesen, was ohne Kontakte mit den - wie Kohl sie zu nennen pflegte - "Bimbesleuten" nicht geht. Und nun stellt sich heraus, dass Wulff deren Gesellschaft offenbar sehr mochte, unabhängig davon, ob das kitschige Hotelzimmer in Fichte oder Plüsch gehalten war. Trotz Popularität im Volk konnte er die Vorwürfe der Vorteilsnahme nicht aussitzen, zumal er es sich sehr ungeschicht mit den Medien anstellte.
Augenblicklich hat Deutschland Glück. Die Kanzlerin sieht sich dazu gezwungen, bei ihrer nächsten Schöpfung das Prinzip der Überparteilichkeit mit zu bedenken. Dieses fällt ihr offensichtlich nicht leicht, aber es gibt noch Chancen dafür, dass Deutschland endlich einen Bundespräsidenten bekommt, der sowohl die Regierung als auch die Medien als auch die Opposition überhören kann, wenn er zu irgendeinem Sachverhalt Stellung beziehen möchte.
Zur Zeit ist Joachim Gauck der Favorit des Volkes. Wie immer in dieser Frage, scheint diese Tatsache die Parteien kaum etwas zu kümmern - sie setzen auf die in der Tat erstauntliche Hörigkeit vieler Deutschen. Merkel und Teile der CDU wollen Gauck nicht, weil sie ihn schon einmal abgelehnt haben. Die SPD wiederum stand nie so richtig hinter ihm - sie hatte ihn früher vorgeschlagen, um der Kanzlerin bei der Durschsetzung ihres eigenen Kandidaten Probleme zu bereiten. Heute bevorzugen die Sozialdemokraten deshalb einen wie auch immer gearteten Deal mit Frau Merkel.
Nur durch den lauten Ruf nach Gauck kann Deutschland einen Präsidenten bekommen, den ein sich selbst achtendes Volk verdienen würde. Denn es geht hier weniger um die Person des Kandidaten, sondern vielmehr um die Aufwertung unseres Repräsentanten. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Amt tatsächlich und auf Dauer gestärkt wird, wird freilich erst dann groß sein, wenn der Bundespräsident direkt vom Volk gewählt wird. Wenn aber jemand glaubt, Frau Merkel oder irgendein anderer Parteiführer würde sich für die Volkswahl des Staatsoberhauptes einsetzen, dem ist nicht zu helfen.
08.01.2012
Nicht nur Christian Wulff ist das Problem, sondern auch das Amt des Bundespräsidenten
Nicht das Darlehen und der Kredit des Christian Wulff und auch nicht seine Telefonate mit einigen Verantwortlichen für das Durchschnittsniveau des Journalismus in diesem Lande sind das Hauptproblem der Wulff-Affäre. Das eigentliche Problem stellt das Amt des Bundespräsidenten dar.
Dieses Amt gibt seinem Träger (oder - vielleicht irgendwann im diesbezüglich reaktionären Deutschland - der Trägerin) so gut wie keine Macht, so dass sich der Präsident diese erst selbst erschaffen muss, und zwar durch die Popularitätsgewinnung. Von Weizsäcker hat sich beispielsweise mit seiner Gabe, so zu reden, dass die meisten das Gefühl hatten, Gleiches wie er zu meinen, beliebt machen können. Dafür musste er das Unbehagen des Bundeskanzlers Kohl, den er übrigens am liebsten gestürzt hätte, ertragen. Von Roman Herzog ist nur eine vage Erinnerung an irgendeinen "Ruck" geblieben. Noch weniger Spuren hat Johannes Rau als Bundespräsident hinterlassen; er lebte im dunkelsten Schatten des protzigen Aufsteigers Schröder, dessen ungebendigte Machtgier den Bürgern (und dem ähnlich wie er gestrickten russischen Staatspräsidenten) offenbar sehr imponierte. Horst Köhler war wegen seiner einnehmenden Art und Selbstständigkeit im Urteil recht populär, aber er bewies unwillentlich, dass der Präsident keineswegs alles sagen darf, zumal wenn es sich um die Wahrheit handelt. Sobald er die Banalität erwähnte, Deutschland engagiere sich nicht nur wegen seiner vermeintlich grenzenlosen Freiheitsliebe militärisch in der Welt, sondern nicht zuletzt um seine Wirtschaftsinteressen zu wahren, setzte er sich der niveaulosen Kritik der für das aus historischen Gründen nicht immer überzegende Selbstverständnis dieser Republik verantwortlichen Medienkartelle aus. In dieser Lage hat ihn sogar die Bundeskanzlerin nicht in Schutz nehmen wollen - eigentlich eine grobe Illoyalität, die davon zeugte, wie wenig sie von diesem Amt, das sie so gern mit eigenen Favoriten besetzt, und von diesen Favoriten selbst hält. "Bloß keiner von außerhalb der Parteipolitik" lautete offenbar die Devise bei der Suche nach dem Nachfolger für Köhler, der Charakter bewiesen hatte, als er das Amt der Schönsprechpuppe von Kanzlers Gnaden geschmissen hatte. Daraufhin hat sich Merkel zu ihren Funktionen als Regierungs- und Parteichefin auch noch ihren neuen Präsidenten Wulff hinzugefügt, obwohl sie Joachim Gauck gewiss sehr schätzt. Gauck aber, von dem nicht bekannt ist, weshalb er sich am lachhaften Scheinwhalkamp um das Amt überhaupt beteiligt hatte, hätte auch die Unterstüztung der Opposition bekommen und wäre deshalb recht unabhängig...
Heute sollten die politischen Eliten die längst fällige Reform des Amtes fordern (es gibt in der Welt viele Beispiele für bessere Lösungen als in Deutschland), statt von Merkel zu erwarten, dass sie dessen Personal wieder im Alleingang bestimmt (es wird in diesem Zusammenhang sogar vom "Machtwort-Sprechen" geschrieben - sic!). Einfacher ist es jedoch, Ausschau nach einem Engel (im Himmel gibt es höchstwahrscheinlich keine Hypotheken-belastete Häuser) zu halten, der nach Christian Wulff dem Amt, von dem in seiner gegenwärtigen Konstitution nur Schaden ausgeht, zu einer scheinbaren Nützlichkeit verhilft.
Dieses Amt gibt seinem Träger (oder - vielleicht irgendwann im diesbezüglich reaktionären Deutschland - der Trägerin) so gut wie keine Macht, so dass sich der Präsident diese erst selbst erschaffen muss, und zwar durch die Popularitätsgewinnung. Von Weizsäcker hat sich beispielsweise mit seiner Gabe, so zu reden, dass die meisten das Gefühl hatten, Gleiches wie er zu meinen, beliebt machen können. Dafür musste er das Unbehagen des Bundeskanzlers Kohl, den er übrigens am liebsten gestürzt hätte, ertragen. Von Roman Herzog ist nur eine vage Erinnerung an irgendeinen "Ruck" geblieben. Noch weniger Spuren hat Johannes Rau als Bundespräsident hinterlassen; er lebte im dunkelsten Schatten des protzigen Aufsteigers Schröder, dessen ungebendigte Machtgier den Bürgern (und dem ähnlich wie er gestrickten russischen Staatspräsidenten) offenbar sehr imponierte. Horst Köhler war wegen seiner einnehmenden Art und Selbstständigkeit im Urteil recht populär, aber er bewies unwillentlich, dass der Präsident keineswegs alles sagen darf, zumal wenn es sich um die Wahrheit handelt. Sobald er die Banalität erwähnte, Deutschland engagiere sich nicht nur wegen seiner vermeintlich grenzenlosen Freiheitsliebe militärisch in der Welt, sondern nicht zuletzt um seine Wirtschaftsinteressen zu wahren, setzte er sich der niveaulosen Kritik der für das aus historischen Gründen nicht immer überzegende Selbstverständnis dieser Republik verantwortlichen Medienkartelle aus. In dieser Lage hat ihn sogar die Bundeskanzlerin nicht in Schutz nehmen wollen - eigentlich eine grobe Illoyalität, die davon zeugte, wie wenig sie von diesem Amt, das sie so gern mit eigenen Favoriten besetzt, und von diesen Favoriten selbst hält. "Bloß keiner von außerhalb der Parteipolitik" lautete offenbar die Devise bei der Suche nach dem Nachfolger für Köhler, der Charakter bewiesen hatte, als er das Amt der Schönsprechpuppe von Kanzlers Gnaden geschmissen hatte. Daraufhin hat sich Merkel zu ihren Funktionen als Regierungs- und Parteichefin auch noch ihren neuen Präsidenten Wulff hinzugefügt, obwohl sie Joachim Gauck gewiss sehr schätzt. Gauck aber, von dem nicht bekannt ist, weshalb er sich am lachhaften Scheinwhalkamp um das Amt überhaupt beteiligt hatte, hätte auch die Unterstüztung der Opposition bekommen und wäre deshalb recht unabhängig...
Heute sollten die politischen Eliten die längst fällige Reform des Amtes fordern (es gibt in der Welt viele Beispiele für bessere Lösungen als in Deutschland), statt von Merkel zu erwarten, dass sie dessen Personal wieder im Alleingang bestimmt (es wird in diesem Zusammenhang sogar vom "Machtwort-Sprechen" geschrieben - sic!). Einfacher ist es jedoch, Ausschau nach einem Engel (im Himmel gibt es höchstwahrscheinlich keine Hypotheken-belastete Häuser) zu halten, der nach Christian Wulff dem Amt, von dem in seiner gegenwärtigen Konstitution nur Schaden ausgeht, zu einer scheinbaren Nützlichkeit verhilft.
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