27.08.2011

Merkel, Kohl, Opportunismus und Europa

Angela Merkel will an der Macht bleiben, zumal bei aller Schwäche ihrer Partei die Opposition keineswegs exzellente Chancen hat, sie als Kanzlerin abzulösen. Der Preis für ihren Machtverbleib ist aber sehr hoch. Merkel sieht sich gezwungen, dem Volk, das die Ernsthaftigkeit der augenblicklichen Krise nicht zu begreifen vermag bzw. willens ist, nach dem Mund zu reden. Den meisten Deutschen scheint nämlich nur eines wichtig zu sein: Deutschland soll möglichst kein Geld für die Euro-Rettung aufbringen.

Mit dieser hierzulande typischen pekuniaren politischen Grundhaltung rächt sich der "demokratische Opportunismus" der politischen Klasse, die im vorangegangenen Jahrzehnt nichts getan hat, um zumindest junge Deutsche geistig zu europäisieren. Ganz im Gegenteil: Seit der Regierungszeit Gerhard Schröders spielen die Regierenden mit der Bevölkerung schon ganz offen ein nationales Spiel, während sie sich klammheimlich um eine Vertiefung der europäischen Integration bemühen. Dem Volk wird die nationale Übergröße vorgegaukelt, weil die Pflege der nationalen Selbstgefälligkeit auch in Demokratien dem Machterhalt zugute kommt. Die europäische Integration wird wiederum von den gleichen Regierenden als der beste Weg zum Wohlstand und Sicherheit betrachtet und - betrieben. Solange die Wirtschaft läuft, der Auslandsurlaub und das neue Auto bezahlbar sind, so lange kann eine geistig durch und durch auf den materiellen Erfolg fixierte Gesellschaft diesen Spagat übersehen. In Krisenzeiten jedoch, wenn in der Bevölkerung Emotionen Oberhand gewinnen, kann dieser Spagat als das wahrgenommen werden, was er ist: die Doppelzüngigkeit der demokratischen Elite.

Nun meldet sich durch den Opportunismus seiner Partei offenbar stark verunsicherte Helmut Kohl zu Wort und wirft der Regierungschefin Prinzipienlosigkeit vor, worunter er die Abwendung vom Westen und den fehlenden europäischen Geist versteht - beide übrigens engstirnig nationalistisch motiviert. Darauf reagieren ausgerechnet die Gegner der EU-Integration mit Jubel, und zwar nicht nur in der Politik (CDU/CSU), sondern auch in anderen meinungsbildenden Kreisen. Sollen diese Liebhaber der DM und übrige vorgestrige Nationalisten in der politischen Elite der Bundesrepublik bestimmend werden, wird das "Kohl'sche Europa" - mit der Zustimmung der Volksmehrheit - tatsächlich zerstört. Der Verlust der europäischen Währung wird Deutschland dann ungleich mehr kosten als deren Rettung. Dies ist aber nur halb so schlimm, weil sowohl das Volk als auch seine Eliten diese Entwicklung verdient haben werden.

Geradezu beiläufig wird jedoch wesentlich Wichtigeres zerstört: die Europäische Union. Vielleicht wird sich dann die Prophezeihung eines klugen Amerikaners bewahrheiten, die er vor einigen Jahren formuliert hat: "If Europe shall die, Germany will have killed it".