11.12.2011

Cameron, Kaczyński, Merkel und andere Verfechter des nationalen Egoismus

Einzig England blockierte während des Brüsseler Gipfels am 8./9. Dezember jene EU-Reform, die trotz ihrer offensichtlichen Schwächen (über die notwendige Demokratisierung Europas wurde kein Wort verloren) den einzig bekannten Versuch darstellt, den Euro und die EU zu retten. David Cameron habe durch sein beharrliches Auftreten für englische Nationalinteressen sein Land an den Rand der Belanglosigkeit in der Europäischen Union hinaus manövriert - so etwa ist der Grundton der Kommentare in unseren Medien nach dem besagten Gipfeltreffen. Aber zugleich beschwört der "Bundespräsident Wulff ... die EU-Mitglieder, am engen Verhältnis zu Großbritannien festzuhalten". Besonders unsere braven Öffentlich-Rechtlichen bringen deshalb trotz allem auch das Verständnis für politische Zwänge ein, denen der prime minister zu Hause ausgesetzt ist.

Wie anders waren die Reaktionen der deutschen Medien während des ebenso Brüsseler Gipfels im Juni 2007, als sich die politische Führung Polens weigerte, die deutschen Vorschläge für eine EU-Reform anzunehmen. Damals ging es um die "doppelte Mehrheit", die die Stimmengewichtung im Rat zugunsten Deutschlands, Frankreichs, Englands und Italiens (und auf Kosten kleinerer Länder, darunter vor allem Polens) verschob. Warschau, von Tschechien unterstützt, schlug dagegen einen arithmetisch gerechteren (Deutschland durchaus stärkenden) Kompromiss vor, dass das Stimmengewicht im Rat nach der Quadratwurzel der Bevölkerungszahl berechnet werden sollte. Kübelweise schüttelte man daraufhin über "die polnischen Zwillinge" Dreck aus. Stefan Ulrich in der "Süddeutsche" war den Kaczyński-Brüdern gegenüber noch gnädig: "Den europäischen Staaten läuft die Zeit davon, wenn sie den Globus mitgestalten und ihr Zivilisations-Modell erhalten wollen. Sie können sich nur gemeinsam behaupten - und sie können nicht mehr warten, bis das auch die Herren Kaczynski verstehen". Unter dem "unseren Zivilisationsmodell" verstand der imperiale Journalist offenbar jenes genuin europäische Schuldenmachen, das heute den ganzen Globus in eine Krise stürzt und die Europäer dazu bringt, auf das Geld der chinesischen Kommunisten zu hoffen. Und auch die Bundeskanzlerin setzte damals die deutschen Interessen der europäischen Zivilisation gleich: Sie schlug während des Gipfels allen Ernstes vor, die doppelte Mehrheit gegen die Stimme Polens, d.h. auf einem vertragswidrigen Weg anzunehmen.

Es lohnt an diese Geschichte zu erinnern, damit niemand über das "europäische" Ergebnis des letzten Brüsseler Gipfels in Verzückung gerät. Auch heute geht es primär um deutsche (und französische) und gar nicht um genuin europäische Interessen. Auch heute wird die EU von Deutschland (und Frankreich und anderen) als Mittel und nicht als Zweck der Politik betrachtet. Auch heute denkt Merkel genauso egoistisch wie Cameron und Jarosław Kaczyński (der nun in Polen unsinnigerweise gegen den heutigen polnischen Regierungschef Donald Tusk wettert, der wiederum - wie viele andere europäische Politiker auch - aus der Sorge um den Zerfall der EU heraus die deutsch-französischen Vorschläge unterstützt).

Fazit. Unsere europäische Zukunft hängt von den national-kleinkarierten Geistern ab, die Mal so und Mal so handeln oder schreiben oder talken, je nachdem, aus welcher Ecke ihnen der nationale Wind zu wehen scheint. Deutschland und Frankreich werden dabei erst dann aufhören, kleine Länder und Länder mittlerer Größe zuweilen wie Vasallen zu behandeln, wenn die Europäische Union ein demokratischer Souverän wird. Diese EU-Demokratisierung wird wiederum nicht stattfinden, wenn die kleinen und mittleren Staaten genauso kleinkariert-national bleiben wie die Großen. Von Polen jedenfalls sind in absehbarer Zeit keine richtungsweisenden Impulse zu erwarten.