15.07.2012

Über den Dummkopf (bzw. die Definitiv-Idiotin)

Schicken Sie den Ihnen bekannten Dummköpfen diesen Text:


Wo kommt der Dummkopf (bzw. die Idiotin) her, wie wird er (sie) hergestellt? Diese Frage beantwortet ein chinesischer Spruch am besten: "Eine Frau braucht zwanzig Jahre, um aus ihrem Sohn einen Mann zu machen – und eine andere macht in nur zwanzig Minuten einen Dummkopf aus ihm". Ein richtiger Dummkopf (auch weiblich) wird freilich schon während der ersten zwanzig Minuten seines Lebens ein solcher (eine solche). Und er (sie) bleibt es sein ganzes Leben lang - eine tragische Figur (diese Tragik ist umso trauriger, als die eigene Dummheit ihm/ihr niemals bewusst werden kann). Er (sie) kann an seiner (ihrer) Bestimmung nichts ändern, was François de La Rochefoucauld prägnant formulierte: "Es gibt Leute, die dazu bestimmt sind, Dummköpfe zu sein, die Torheiten nicht nur aus freien Stücken begehen, sondern die vom Schicksal dazu gezwungen sind". Das Dumme am Handeln des Dummkopfs ist, dass er (sie)  - so Helen Rowland - "das tut, was er nicht lassen kann, während der Weise lässt, was er nicht tun kann".
Der Dummkopf ist aber nicht bloß eine lächerliche Figur, die - wenn männlich - mit Vorliebe weiße Socken zu Sandalen trägt sowie jede Bewegung oder - wenn weiblich - Zähneputzen verabscheut und in jedem Satz das Wort "definitiv" verwendet. Er (sie aber nicht, dafür ist sie zu dumm) kann zuweilen gefährlich werden, was Franz Grillparzer erkannt hatte: "Ein Dummkopf bleibt ein Dummkopf nur für sich, im Feld und Haus; doch wie du ihn zu Einfluss bringst, so wird ein Schurke draus". Auch als Schurke überschätzt er sich freilich maßlos. "Niemand glaubt sich geeigneter“, so Luc de Clapier Vauvenargues, "einen Menschen von Geist zu hintergehen, als ein Dummkopf“. 
Es versteht sich von selbst, dass der Dummkopf (die Idiotin) alles, was ihm (ihr) das Bildungssystem bietet, nutzen wird, um sich als geistig voll entwickelt darstellen zu können. Ganz sicher wird er (sie) promovieren, falls es das ermöglicht. Trotzdem gilt es: "Du bleibst immer, was Du bist". Deshalb ist  der Dummkopf (auch die Idiotin) zum Scheitern verurteilt. Vor diesem Hintergrund ist der Satz Grischa Laubs verständlich, der Dummkopf sei ein Idiot, der keine Karriere gemacht hat.

13.07.2012

Der Streit um den EU-Staat - Part 3 - Antwort auf Carsten Germis.

Lieber Carsten,
Deine schöne Kritik hat mich sehr gefreut und zu dieser Antwort animiert. Ich werde mich dabei an die Struktur Deines Beitrags halten, der mit der Feststellung beginnt, dass ich Deine Grundprämisse missverstehe: Du wärst entgegen meiner Behauptung doch ein Anhänger einer europäischen Föderation. Der endgültigen Klärung halber hätte es freilich nicht geschadet, wenn Du - wie ich zuvor - vom "europäischen Staat" geschrieben hättest. Denn eine europäische Föderation - zumindest im breiten Sinne des Begriffs - haben wir seit Langem. Diese ist aber zu wenig politisch ausgerichtet und deshalb außerstande, ihre gegenwärtigen Probleme und somit auch viele Probleme der EU-Staaten zu lösen. Diese Probleme können ausschließlich durch einen europäischen Souverän - durch den von den Nationalstaaten unabhängigen europäischen Bund - gelöst werden. Somit sind wir beim Deinem Punkt 1 angekommen.
1) In der Tat werden die wichtigsten Entscheidungen der EU in den letzten Jahren auf einem nicht-demokratischen Weg getroffen. Deine Beispiele stimmen. Du übersieht aber die Tatsache, dass es auch vor der Euro-Krise so war. Der berühmte "Motor der europäischen Integration", nämlich Deutschland und Frankreich, haben sich seit Jahrzehnten daran gewöhnt, die anderen EU-Mitglieder herumzukommandieren. Vor Jahren schon habe ich in diesem Zusammenhang vom "rechtsstaatlichen Autoritarismus" in der EU geschrieben - im Gegensatz zu den meisten hiesigen Politkwissenschaftlern, die in diesem Zusammenhang bevorzugen, verharmlosend bloß von "Demokratie-Defiziten" zu sprechen. Beispiele für das deutsch-französische Kommandieren? Bitte sehr: Bei der Einführung vom Euro und überhaupt beim Maastrichter Vertrag oder bei der de facto Abschaffung des Stabilitätspakts (als beide Staaten sich erfolgreich geweigert haben, Strafen für ihre schlampige und deshalb vertragswidrige Fiskalpolitik zu zahlen) haben die Deutschen mit den Franzosen den Anderen abverlangt, was sie wollten. Und als vor gut einem Jahr sich Frankreich wegen seiner augenblicklichen Wirtschaftsschwäche mit der Rolle des deutschen Juniorpartners abzufinden begann, hat das in den hiesigen Medien eine Welle nationalen Zufriedenheit ausgelöst. Die Amerikaner würden endlich wissen, bei wem sie anzurufen haben, wenn es um die EU-Politik geht - nämlich bei Angela Merkel. Ich finde es nicht redlich, unsere Union ausschließlich durch nationale Brille zu sehen. Mir geht es dabei nicht um jenes oder anderes Land. Ich finde es unter meiner Würde, auf diese Art und Weise regiert zu werden. Gut, dass wir beide eine demokratische Union wünschen, d.h. eine ohne die deutsch-französische Führung, die sie zugrunde richten kann.
2) Ich bin im Gegensatz zu Dir ein Anhänger der Transferunion. Die historische Leistung der EU besteht gerade darin, dass sie als Transferunion sowohl die Starken als auch die Schwachen zusammengebracht und ihnen neue Entwicklungschancen gegeben hat. Die Voraussetzung dafür war immer, dass es für die Transfers klare Regeln gab, die auch eingehalten wurden. Auch der Euro-Raum braucht Regel, deren Einhaltung richtig - von einer supranationalen staatlichen Struktur - kontrolliert und notfalls gegen den Willen der nationalen Regierungen und Parlamente erzwungen wird. So eine Struktur lehnen aber nicht nur die Franzosen, die Spanier und die Italiener, sondern auch die Deutschen ab. Wenn einige kluge deutsche Politiker die Notwendigkeit einer solchen Struktur bloß andeuten, fallen ihnen die hiesigen vaterländischen Medien in den Rücken (zusammen mit Herrn Seehofer).
Zu Polen: Es beteiligt sich freiwillig mit sechs oder sieben Milliarden Euro an der Euro-Rettung. Vorwiegend aus politischen Gründen übrigens. Nebenbei bemerkt: Es ist ein typischer Scherz der deutsch-französisch geführten Union, dass Länder wie Polen wegen der Nicht-Einhaltung jener Maastricht-Kriterien nicht der Euro-Zone beitreten durften (das finde ich richtig), die sie in einem höheren Ausmaß erfüllten als viele Länder der Euro-Zone (inbegriffen die größten). 
3) Ob Deutschland vom Euro ökonomisch profitiert oder nicht, weiß ich nicht. Gerade der Großteil der deutschen Ökonomen, die sich immer in die Tagespolitik einmischen, aber die ökonomischen Probleme der Gegenwart kaum zu erkennen imstande sind, wird offensichtlich alles sagen, was der politische Mainstream vorgibt. Der Euro stellt bloß eine Währung dar. Es gilt nun, diese Institutionen, die sie absichern (etwa die EZB) von den Nationalstaaten (augenblicklich in erster Linie von Deutschland und Frankreich) unabhängig zu machen. Wenn dies nicht gelingt, werden wir alle sehen, ob der Euro für Deutschland sowohl ökonomisch als auch politisch gut oder schlecht war.
4) Unsere Kanzlerin hat auf dem letzten Brüssler Gipfel nur das bekommen, was sie sich durch ihre sture und immer verspätete Politik auch verdient hat. Die Schulden im Euro-Raum sind zu vergemeinschaften. Erstens deshalb, weil nur so die Krise beigelegt werden kann. Zweitens deshalb, weil alle von der Schuldenmacherei zwei Jahrzehnte lang profitiert haben. Drittens, weil viele vorsätzlich gegen den Stabilitätspakt verstoßen haben. Der französische Präsident Holland ist für mich zwar ein typisch französischer Sozialist, d.h.nationalistisch wie ein typischer deutscher Sozialdemokrat, aber noch weniger von der Marktwirtschaft verstehend (verzeihe mir bitte dieses Spiel mit Vorurteilen). Gut an ihm ist jedoch ein sehr wichtiger Umstand: Er veranschaulicht die wahren Triebkräfte der heutigen Union. Wenn die nationalen Interessen der Deutschen und Franzosen gegensätzlich gelagert erscheinen, gibt es in der EU keinen "Motor", sondern ausschließlich ein vom früheren "Motor" konstruiertes beschämend undemokratisches und intransparentes Regelwerk.
Wenn das Regelwerk durch die Schaffung des souveränen europäischen Bundes mit einem echten Parlament und einer echten Regierung demokratisch wird, dann wird sich auch mit Zeit die europäische Identität einstellen, die die nationale und regionale ergänzen wird.
5) Du schreibst: "Es ist richtig, der Euro verlangt die europäische Integration der Fiskalpolitik. Nur, was derzeit geschieht, dient eher dazu, dass die europäischen Völker sich wieder auseinander entwickeln".  Ich sehe das anders: Die Fiskalpolitik ist dazu da, einen Teil der Rahmenbedingungen für das Wirtschaften im Euro-Raum zu vereinheitlichen und somit die Währung stabil zu halten. Die Länder mögen sich dann nach wie vor unterschiedlich entwickeln, wie Saarland samt Mecklenburg-Vorpommern vs. Hamburg, wie NYC vs. Nebraska, wie Moskau vs. Dagestan usw. Aber ich stimme mit Dir damit überein, dass kaum eine seriöse Debatte über die europäischen Fragen geführt wird. Zu stark sind dafür die Tabus, zu groß die nationalen Augenklappen der Meinungsmacher, zu wenig ausgeprägt das Verständnis für die EU. Es bleibt also doch auf die heilende Wirkung der Krise zu hoffen. Schade, dass sie sich dafür  noch vertiefen muss.
Herzliche Grüße
Jerzy

08.07.2012

Fortsetzung des Streits über den EU-Staat - die Antwort von Carsten Germis

Carsten Germis hat eine Antwort auf meinen Beitrag "Mein Streit über den EU-Staat" (http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=9011582832729205701#editor/target=post;postID=2964348723955527527) verfasst. Sobald ich etwas Zeit habe, nehme ich hierzu Stellung.


Lieber Jurek,

hier nun also endlich die Antwort. Zuerst einmal stimmt Deine Grundprämisse nicht: Ich lehne eine europäische Föderation nicht ab, im Gegenteil. Nur, nicht jeder, der sich gegen das wendet, was da jetzt seit 2 Jahren von den Euro-Rettern veranstaltet wird, ist deswegen gleich ein antieuropäischer, wieder geborener Nationalist. Hier ein paar Anmerkungen zur Diskussion:
1) Ich wundere mich darüber, dass gerade Du als Politikwissenschaftler dazu schweigst, dass die nationalen Regierungen (und die EU) Verfassungs- und Vertragsbruch zur Grundlage ihres neuen Europas machen wollen. Kein "Bail out", sagen die Maastrichter Verträge zum Euro ganz eindeutig. Das Gegenteil geschieht. Ein Skandal! Und wo bleibt bei all dem eigentlich die demokratische Kontrolle? Die Griechen müssen sich von EU und IWF ihre Politik vorschreiben lassen. Die Finnen und die Deutschen gehen mögliche Zahlungsverpflichtungen über hunderte von Milliarden Euro ein, über die ihre nationalen Parlamente letztlich nicht mehr entscheiden können. Das Demokratieprinzip wird dreist ausgehebelt; politische Eliten entscheiden unter dem Druck der Finanzmärkte (und verteilen ganz nebenbei in einem historisch beispiellosen Maß Volksvermögen zugunsten von Kapitalbesitzern um, die sich verspekuliert haben - man müsste glatt mal wieder Karl Marx lesen). Wundert es Dich da, dass sich immer mehr Menschen von der gesellschaftlichen Ordnung abwenden? Ich sehe darin eine der politisch größten Gefahren; deswegen ist das Demokratieprinzip für mich auch in dieser Debatte keine Kleinigkeit, die ich einfach unter den Tisch fallen lasse.
2) Was steht zur Debatte? Es geht um eine Transfergemeinschaft, in der - wahrscheinlich dauerhaft - der Norden (zu dem nach einem Euro-Beitritt Polens übrigens auch gehört, dass sich von der wirtschaftlichen Misere der EU ja erfreulich abgekoppelt hat; auch Polen würde zahlen) die südeuropäischen Staaten mit finanziert. Gleichzeitig hat der Norden aber keine Kontrolle über die dortige Fiskalpolitik und keinen Einfluss darauf, dort wettbewerbsfähige Strukturen zu verlangen. Bundeskanzlerin Merkel weist deswegen zu recht darauf hin, dass mit der Transferunion eine stärkere politische Integration, also die Abtretung von Souveränität an die EU, einhergehen muss. Das lehnen vor allem Frankreich, aber auch Italien und Spanien derzeit ab. Unabhängig davon, wie es bei einer Haushaltskontrolle der EU um das demokratische Prinzip bestellt ist, liegt der "moral hazard" des jetzt beschrittenen Weges offen zu Tage. Wenn deutsche Sparkassenkunden für die Risiken spanischer Großbanken haften (die selber keine entsprechende Einlagensicherung haben), im Gegenzug aber keine Einflussmöglichkeit bekommen, was ist dann wohl die Folge? Warum sollte ich etwas ändern (was meistens ja mit Besitzstandsverlusten verbunden ist), wenn ich weiß, dass ich so oder so rausgehauen werde? Auf das Problem des "moral hazard" hat die EU bislang keine Antwort gefunden. Auch nicht darauf, wie denn mögliche Entscheidungen der EU demokratisch legitimiert werden, wenn sie in die nationale Haushaltspolitik, sagen wir Griechenlands, eingreifen?
3) Deutschland profitiert keineswegs so stark vom Euro wie behauptet. Vor Einführung des Euro haben deutsche Unternehmen deutlich mehr in die EU importiert als derzeit. Bis 2008, vom vielen vergessen, hat der Euro dazu beigetragen, dass in Deutschland kaum investiert worden ist, weil das Geld in den Konsum nach Südeuropa floss.
4) Die Krise zeigt, dass Europa (nicht nur die nationalen Eliten) von der Idee eines europäischen Staatsvolks, ja sogar einer der eigenen Nationalität beigestellten europäischen Identität weiter entfernt ist denn je. Wie anders ließen sich die Siegesfeiern des Herrn Monti nach dem letzten Brüsseler EU-Gipfel sonst erklären, als Merkel auf den Weg Roms, Madrids und Paris' eingeschwenkt ist (und was soll der Arbeiter in Wanne-Eikel, der bis 67 arbeiten darf dazu denken, dessen Lohn mittlerweile unter dem derjenigen liegt, die er unterstützt)? Wenn Monti und Hollande in Kategorien von Sieg und Niederlange denken (und das auch noch offen aussprechen), wie soll da europäische Solidarität entstehen?
4) Es ist richtig, der Euro verlangt die europäische Integration der Fiskalpolitik. Nur, was derzeit geschieht, dient eher dazu, dass die europäischen Völker sich wieder auseinander entwickeln. Wer in Deutschland (oder den anderen Euro-Ländern) führt diese Debatte eigentlich offen? Wer sagt, worum es wirklich geht? Wer wirbt für eine europäische Föderation, die die Fiskalpolitik auf die europäische Ebene hebt? Und wo bleibt eigentlich das Subsidaritätsprinzip? Fragen über Fragen.

Und ein herzlicher Gruß
Carsten Germis

04.07.2012

Warum Nationen Fußballmeisterschaften brauchen

Die deutsche Nation will die beste sein. Dafür muss sie die anderen besiegen. Es zeigt sich, dass die erste Nation, die sich ihr in den Weg stellt, keinen besonders starken Widerstand leistet. Auch die zweite und die dritte sind erstaunlich schnell besiegt. Nachdem auch der bisher vermeintlich stärkste Feind geschlagen ist, wird der Endsieg für sicher gehalten - gegen alle Rationalität. Dann aber kommen die Engländer. Es geht nicht mehr so leicht wie gegen Polen, Dänemark, Norwegen und Frankreich. In der Battle of Britain schießen die Verteidiger ca. 2000 deutsche Flugzeuge ab. England ist gerettet, der Zwei-Fronten-Krieg unumgänglich und die katastrophale deutsche Niederlage eingeleitet. 
Wie gut, dass sich die Nationen Europas heute bloß auf Fußballplätzen bekämpfen.