Lieber Jurek,
hier nun also endlich die Antwort. Zuerst einmal stimmt Deine Grundprämisse nicht: Ich lehne eine europäische Föderation nicht ab, im Gegenteil. Nur, nicht jeder, der sich gegen das wendet, was da jetzt seit 2 Jahren von den Euro-Rettern veranstaltet wird, ist deswegen gleich ein antieuropäischer, wieder geborener Nationalist. Hier ein paar Anmerkungen zur Diskussion:
1) Ich wundere mich darüber, dass gerade Du als Politikwissenschaftler dazu schweigst, dass die nationalen Regierungen (und die EU) Verfassungs- und Vertragsbruch zur Grundlage ihres neuen Europas machen wollen. Kein "Bail out", sagen die Maastrichter Verträge zum Euro ganz eindeutig. Das Gegenteil geschieht. Ein Skandal! Und wo bleibt bei all dem eigentlich die demokratische Kontrolle? Die Griechen müssen sich von EU und IWF ihre Politik vorschreiben lassen. Die Finnen und die Deutschen gehen mögliche Zahlungsverpflichtungen über hunderte von Milliarden Euro ein, über die ihre nationalen Parlamente letztlich nicht mehr entscheiden können. Das Demokratieprinzip wird dreist ausgehebelt; politische Eliten entscheiden unter dem Druck der Finanzmärkte (und verteilen ganz nebenbei in einem historisch beispiellosen Maß Volksvermögen zugunsten von Kapitalbesitzern um, die sich verspekuliert haben - man müsste glatt mal wieder Karl Marx lesen). Wundert es Dich da, dass sich immer mehr Menschen von der gesellschaftlichen Ordnung abwenden? Ich sehe darin eine der politisch größten Gefahren; deswegen ist das Demokratieprinzip für mich auch in dieser Debatte keine Kleinigkeit, die ich einfach unter den Tisch fallen lasse.
2) Was steht zur Debatte? Es geht um eine Transfergemeinschaft, in der - wahrscheinlich dauerhaft - der Norden (zu dem nach einem Euro-Beitritt Polens übrigens auch gehört, dass sich von der wirtschaftlichen Misere der EU ja erfreulich abgekoppelt hat; auch Polen würde zahlen) die südeuropäischen Staaten mit finanziert. Gleichzeitig hat der Norden aber keine Kontrolle über die dortige Fiskalpolitik und keinen Einfluss darauf, dort wettbewerbsfähige Strukturen zu verlangen. Bundeskanzlerin Merkel weist deswegen zu recht darauf hin, dass mit der Transferunion eine stärkere politische Integration, also die Abtretung von Souveränität an die EU, einhergehen muss. Das lehnen vor allem Frankreich, aber auch Italien und Spanien derzeit ab. Unabhängig davon, wie es bei einer Haushaltskontrolle der EU um das demokratische Prinzip bestellt ist, liegt der "moral hazard" des jetzt beschrittenen Weges offen zu Tage. Wenn deutsche Sparkassenkunden für die Risiken spanischer Großbanken haften (die selber keine entsprechende Einlagensicherung haben), im Gegenzug aber keine Einflussmöglichkeit bekommen, was ist dann wohl die Folge? Warum sollte ich etwas ändern (was meistens ja mit Besitzstandsverlusten verbunden ist), wenn ich weiß, dass ich so oder so rausgehauen werde? Auf das Problem des "moral hazard" hat die EU bislang keine Antwort gefunden. Auch nicht darauf, wie denn mögliche Entscheidungen der EU demokratisch legitimiert werden, wenn sie in die nationale Haushaltspolitik, sagen wir Griechenlands, eingreifen?
3) Deutschland profitiert keineswegs so stark vom Euro wie behauptet. Vor Einführung des Euro haben deutsche Unternehmen deutlich mehr in die EU importiert als derzeit. Bis 2008, vom vielen vergessen, hat der Euro dazu beigetragen, dass in Deutschland kaum investiert worden ist, weil das Geld in den Konsum nach Südeuropa floss.
4) Die Krise zeigt, dass Europa (nicht nur die nationalen Eliten) von der Idee eines europäischen Staatsvolks, ja sogar einer der eigenen Nationalität beigestellten europäischen Identität weiter entfernt ist denn je. Wie anders ließen sich die Siegesfeiern des Herrn Monti nach dem letzten Brüsseler EU-Gipfel sonst erklären, als Merkel auf den Weg Roms, Madrids und Paris' eingeschwenkt ist (und was soll der Arbeiter in Wanne-Eikel, der bis 67 arbeiten darf dazu denken, dessen Lohn mittlerweile unter dem derjenigen liegt, die er unterstützt)? Wenn Monti und Hollande in Kategorien von Sieg und Niederlange denken (und das auch noch offen aussprechen), wie soll da europäische Solidarität entstehen?
4) Es ist richtig, der Euro verlangt die europäische Integration der Fiskalpolitik. Nur, was derzeit geschieht, dient eher dazu, dass die europäischen Völker sich wieder auseinander entwickeln. Wer in Deutschland (oder den anderen Euro-Ländern) führt diese Debatte eigentlich offen? Wer sagt, worum es wirklich geht? Wer wirbt für eine europäische Föderation, die die Fiskalpolitik auf die europäische Ebene hebt? Und wo bleibt eigentlich das Subsidaritätsprinzip? Fragen über Fragen.
Und ein herzlicher Gruß
Carsten Germis
hier nun also endlich die Antwort. Zuerst einmal stimmt Deine Grundprämisse nicht: Ich lehne eine europäische Föderation nicht ab, im Gegenteil. Nur, nicht jeder, der sich gegen das wendet, was da jetzt seit 2 Jahren von den Euro-Rettern veranstaltet wird, ist deswegen gleich ein antieuropäischer, wieder geborener Nationalist. Hier ein paar Anmerkungen zur Diskussion:
1) Ich wundere mich darüber, dass gerade Du als Politikwissenschaftler dazu schweigst, dass die nationalen Regierungen (und die EU) Verfassungs- und Vertragsbruch zur Grundlage ihres neuen Europas machen wollen. Kein "Bail out", sagen die Maastrichter Verträge zum Euro ganz eindeutig. Das Gegenteil geschieht. Ein Skandal! Und wo bleibt bei all dem eigentlich die demokratische Kontrolle? Die Griechen müssen sich von EU und IWF ihre Politik vorschreiben lassen. Die Finnen und die Deutschen gehen mögliche Zahlungsverpflichtungen über hunderte von Milliarden Euro ein, über die ihre nationalen Parlamente letztlich nicht mehr entscheiden können. Das Demokratieprinzip wird dreist ausgehebelt; politische Eliten entscheiden unter dem Druck der Finanzmärkte (und verteilen ganz nebenbei in einem historisch beispiellosen Maß Volksvermögen zugunsten von Kapitalbesitzern um, die sich verspekuliert haben - man müsste glatt mal wieder Karl Marx lesen). Wundert es Dich da, dass sich immer mehr Menschen von der gesellschaftlichen Ordnung abwenden? Ich sehe darin eine der politisch größten Gefahren; deswegen ist das Demokratieprinzip für mich auch in dieser Debatte keine Kleinigkeit, die ich einfach unter den Tisch fallen lasse.
2) Was steht zur Debatte? Es geht um eine Transfergemeinschaft, in der - wahrscheinlich dauerhaft - der Norden (zu dem nach einem Euro-Beitritt Polens übrigens auch gehört, dass sich von der wirtschaftlichen Misere der EU ja erfreulich abgekoppelt hat; auch Polen würde zahlen) die südeuropäischen Staaten mit finanziert. Gleichzeitig hat der Norden aber keine Kontrolle über die dortige Fiskalpolitik und keinen Einfluss darauf, dort wettbewerbsfähige Strukturen zu verlangen. Bundeskanzlerin Merkel weist deswegen zu recht darauf hin, dass mit der Transferunion eine stärkere politische Integration, also die Abtretung von Souveränität an die EU, einhergehen muss. Das lehnen vor allem Frankreich, aber auch Italien und Spanien derzeit ab. Unabhängig davon, wie es bei einer Haushaltskontrolle der EU um das demokratische Prinzip bestellt ist, liegt der "moral hazard" des jetzt beschrittenen Weges offen zu Tage. Wenn deutsche Sparkassenkunden für die Risiken spanischer Großbanken haften (die selber keine entsprechende Einlagensicherung haben), im Gegenzug aber keine Einflussmöglichkeit bekommen, was ist dann wohl die Folge? Warum sollte ich etwas ändern (was meistens ja mit Besitzstandsverlusten verbunden ist), wenn ich weiß, dass ich so oder so rausgehauen werde? Auf das Problem des "moral hazard" hat die EU bislang keine Antwort gefunden. Auch nicht darauf, wie denn mögliche Entscheidungen der EU demokratisch legitimiert werden, wenn sie in die nationale Haushaltspolitik, sagen wir Griechenlands, eingreifen?
3) Deutschland profitiert keineswegs so stark vom Euro wie behauptet. Vor Einführung des Euro haben deutsche Unternehmen deutlich mehr in die EU importiert als derzeit. Bis 2008, vom vielen vergessen, hat der Euro dazu beigetragen, dass in Deutschland kaum investiert worden ist, weil das Geld in den Konsum nach Südeuropa floss.
4) Die Krise zeigt, dass Europa (nicht nur die nationalen Eliten) von der Idee eines europäischen Staatsvolks, ja sogar einer der eigenen Nationalität beigestellten europäischen Identität weiter entfernt ist denn je. Wie anders ließen sich die Siegesfeiern des Herrn Monti nach dem letzten Brüsseler EU-Gipfel sonst erklären, als Merkel auf den Weg Roms, Madrids und Paris' eingeschwenkt ist (und was soll der Arbeiter in Wanne-Eikel, der bis 67 arbeiten darf dazu denken, dessen Lohn mittlerweile unter dem derjenigen liegt, die er unterstützt)? Wenn Monti und Hollande in Kategorien von Sieg und Niederlange denken (und das auch noch offen aussprechen), wie soll da europäische Solidarität entstehen?
4) Es ist richtig, der Euro verlangt die europäische Integration der Fiskalpolitik. Nur, was derzeit geschieht, dient eher dazu, dass die europäischen Völker sich wieder auseinander entwickeln. Wer in Deutschland (oder den anderen Euro-Ländern) führt diese Debatte eigentlich offen? Wer sagt, worum es wirklich geht? Wer wirbt für eine europäische Föderation, die die Fiskalpolitik auf die europäische Ebene hebt? Und wo bleibt eigentlich das Subsidaritätsprinzip? Fragen über Fragen.
Und ein herzlicher Gruß
Carsten Germis