Habe heute "Leviathan" von Andrej Swjaginzew gesehen. Dieser Film, der in Deutschland sehr gute bis phantastische Presse hat, läuft in Regensburg seit einer Woche (einmal pro Tag) in einem einzigen Programmkino und ist dort noch bloß ein Paar Tage zu sehen. Regensburg hat ca. 150 000 Einwohner und ist eine Universitätsstadt (knapp 20 000 Studenten). Heute teilte ich in der Metropole von Oberpfalz den Saal des besagten Kinos mit ... acht weiteren Menschen. Dem Aussehen der Besucher nach zu urteilen, gab es darunter eine einzige Person unter 50. Wahrscheinlich gibt es an einem einzigen Abend mehr Studenten, die sich in der ehrwürdigen Regensburger Altstadt betrinken, als solche, die sich während der vergangenen sieben Tage "Leviathan" angeschaut haben. Und wie viele Städte wie Regensburg gibt es in Deutschland?
"Leviathan" ist ein großartiger Film, in dem die Wirklichkeit der russischen Politik und Gesellschaft sehr intensiv und schonungslos vermittelt wird. In einem Land, in dem Russland (normalerweise leider einem Verbrecher, der dort an der Macht sitzt, gleichgesetzt) seit gut einem Jahr vielleicht das mediale Thema schlechthin darstellt, hätte man eigentlich erwartet, dass ein derartiges Ausnahmewerk mehr Interesse hervorruft.
Das Jahr 2014 brachte (zumindest) zwei ausgezeichnete Filme aus Mittel- und Osteuropa: eben "Leviathan" und "Ida" des polnischen Regisseurs Pawel Pawlikowski. Beide konkurrierten um den diesjährigen Oscar für den besten ausländischen Film. "Ida" gewann, und das wahrscheinlich verdient, weil es schlichtweg ein perfektes Filmdrama: vollkommenes Drehbuch, phantastisch gespielt, eigene Ästhetik, klug, eigenwillig, spannend, manchmal ironisch. "Leviathan" hat hingegen "klitzekleine" Schwächen - vielleicht hätte man ihn zehn Minuten kürzer machen können. Trotzdem grenzt es an ein Wunder, dass ein solches Werk im Putinschen Russland gedreht und gezeigt werden konnte.
Beide Filme zeigen, wozu polnische und russische Filmkunst fähig ist. Die trotz der überschwänglichen Rezensionen winzige Resonanz beider Filme in Deutschland zeigt, wie wenig dieses Land an der Mitte und Osten Europas interessiert ist. Mit anderen Worten: Diese Resonanz zeigt, wie wenig europäisch Deutschland ist.