Ich postete auf FB den folgenden Vermerk: „Ein wichtiger
polnischer Regisseur, Wojciech Smarzewski, hat einen Film über das Wolhynien-Massaker 1943-1944 gedreht - "Wolyn". Der Film verspricht, etwas mehr
Wahrhaftigkeit in den leider schwierigen Prozess der polnisch-ukrainischen
Aussöhnung zu bringen, der immer noch zum Teil auf Verschweigen von wichtigen
Problemen und auf Lügen über gemeinsame Geschichte aufbaut. Smarzewski: >Man
kann keine Versöhnung betreiben, indem man die Wahrheit und den Teppich
kehrt<. Ich fügte dem noch einen Link zum entsprechenden trailer hinzu.
Mein guter ukrainischer Bekannter und FB-Freund, Dr. Roman Kryvonos
aus Kiew, reagierte darauf mit dieser Frage: „Sollen
die Ukrainer jetzt einen Film über die Taten von Armija Krajowa in Bieszczady
oder Region von Chelm/Kholm drehen?“
Diese Reaktion auf den Film von
Smarzewski, die sogar für gebildete Ukrainer typisch ist, kann leider nicht
nur als ein in der heutigen Lage der Ukraine vielleicht sogar verständlicher emotionaler Reflex interpretiert werden, und sie erfordert eine längere Antwort. Ich
hoffe, dass sie von meinen ukrainischen Freunden nicht missverstanden wird. Sie lautet folgendermaßen:
Warum nicht? Die Ukraine ist seit 1991 ein freies Land.
Hoffentlich wird es ein guter Film. Es wäre bloß schön, wenn in diesem künftigen
ukrainischen Werk jene historische Wahrheit nicht verdrängt sein würde, dass
das Ausmaß der von Ihnen genannten, von Polen begangenen Verbrechen ungleich
kleiner als das des Wolhynien-Massakers war. Auch die entsprechenden historischen
Zusammenhänge sowie politischen Intentionen der Entscheidungsträger wie auch die
Zusammensetzung der Verbrecher waren sehr unterschiedlich. In diesem Kontext
betrifft der wichtigste Unterschied die besagte Intention: Weder in der
Umgebung von Chelm noch bei der vom kommunistischen Regime durchgeführten „Aktion
Weichsel“ ging es darum, alle Ukrainer umzubringen, was bekanntlich das Ziel
der nationalistischen UPA-Formationen in Bezug auf die Polen in Wolhynien und
Galizien gewesen war.
Wenn aber ein solcher ukrainischer Film entstünde, dann hätten
seine Produzenten selbstverständlich das Recht, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Wäre diese Sicht falsch, dann würden sie über sich selbst kein gutes Zeugnis abgeben. Wichtig ist freilich zu betonen, dass niemand, darunter selbstverständlich kein Pole, das Recht haben würde, den
Film zu kritisieren, bevor dieser gezeigt wäre.
In der Ukraine hat aber leider bereits die Absicht des
großen polnischen Regisseurs, das Werk zu drehen, heftige Kritik und infame
Vorwürfe ausgelöst. Dabei ist die Erwartung, dass man in Polen nach einem
halben Jahrhundert der kommunistischen Herrschaft, die die Wahrheit über das
Wolhynien-Massaker verschwieg, keinen Film über die grausamen Morde von damals drehen darf – gelinde gesagt – unvernünftig. Immerhin geht es hier um zumindest 100 000 regelrecht abgeschlachtete Polen, worüber nicht zuletzt in dem
vor einigen Jahren erschienenen Werk des Historikers Grzegorz Motyka über das
Wolhynien-Massaker und die „Aktion Weichsel“ nachzulesen ist. Vor diesem Hintergrund ist es ein primär polnischer Skandal, dass dieser Film im freien Polen so lange auf
sich warten ließ.
Heute auf dem Filmfestival in Gdynia endlich gezeigt, wurde
"Wolyn" einhellig als ein künstlerisches Meisterwerk beurteilt. Die
wie die meisten polnischen Pressetitel sehr Ukraine-freundliche "Gazeta
Wyborcza" hat ihn vor ein paar Stunden sogar zum wichtigsten polnischen
Film nach 1989 erklärt. Dies geschah nicht aus politischen Gründen. Vielmehr
lobte der Rezensent dieser Zeitung, dass im Film das Böse im Menschen
thematisiert wird, nicht so sehr das polnisch-ukrainische Verhältnis 1943-1944.
In „Wolyn“ würden auch Polen gezeigt, die auf die grausamen Verbrechen der UPA und der
ukrainischen Bauern selbst mit dem Griff zu Äxten und Mistgabeln reagierten.
Wenn dieses Urteil über die Qualität des Films stimmt, dann
hat Smarzewski künstlerisch Großes geleistet. Ausschließlich die Fähigkeit der
Zuschauer, seine Message zu empfangen, wird darüber entscheiden, ob diese
Leistung gewürdigt wird und der Film – ganz beiläufig – bei den Polen und
Ukrainern (wie auch bei Zuschauern aus anderen Ländern) das Gute weckt. Und
Menschen, in denen das Gute lediglich schlummert, sind leicht zum Bösen zu verführen.
Auch in Jan Mayers Roman "Die Glaskugel" wird Wolyn thematisiert