23.09.2016

Meine Antwort auf die Bemerkung von Dr. Roman Kryvonos zum Film "Wolyn" von Wojciech Smarzewski

Ich postete auf FB den folgenden Vermerk: „Ein wichtiger polnischer Regisseur, Wojciech Smarzewski, hat einen Film über das Wolhynien-Massaker 1943-1944 gedreht - "Wolyn". Der Film verspricht, etwas mehr Wahrhaftigkeit in den leider schwierigen Prozess der polnisch-ukrainischen Aussöhnung zu bringen, der immer noch zum Teil auf Verschweigen von wichtigen Problemen und auf Lügen über gemeinsame Geschichte aufbaut. Smarzewski: >Man kann keine Versöhnung betreiben, indem man die Wahrheit und den Teppich kehrt<. Ich fügte dem noch einen Link zum entsprechenden trailer hinzu.

Mein guter ukrainischer Bekannter und FB-Freund, Dr. Roman Kryvonos aus Kiew, reagierte darauf mit dieser Frage: Sollen die Ukrainer jetzt einen Film über die Taten von Armija Krajowa in Bieszczady oder Region von Chelm/Kholm drehen?

Diese Reaktion auf den Film von Smarzewski, die sogar für gebildete Ukrainer typisch ist, kann leider nicht nur als ein in der heutigen Lage der Ukraine vielleicht sogar verständlicher emotionaler Reflex interpretiert werden, und sie erfordert eine längere Antwort. Ich hoffe, dass sie von meinen ukrainischen Freunden nicht missverstanden wird. Sie lautet folgendermaßen:

Warum nicht? Die Ukraine ist seit 1991 ein freies Land. Hoffentlich wird es ein guter Film. Es wäre bloß schön, wenn in diesem künftigen ukrainischen Werk jene historische Wahrheit nicht verdrängt sein würde, dass das Ausmaß der von Ihnen genannten, von Polen begangenen Verbrechen ungleich kleiner als das des Wolhynien-Massakers war. Auch die entsprechenden historischen Zusammenhänge sowie politischen Intentionen der Entscheidungsträger wie auch die Zusammensetzung der Verbrecher waren sehr unterschiedlich. In diesem Kontext betrifft der wichtigste Unterschied die besagte Intention: Weder in der Umgebung von Chelm noch bei der vom kommunistischen Regime durchgeführten „Aktion Weichsel“ ging es darum, alle Ukrainer umzubringen, was bekanntlich das Ziel der nationalistischen UPA-Formationen in Bezug auf die Polen in Wolhynien und Galizien gewesen war.

Wenn aber ein solcher ukrainischer Film entstünde, dann hätten seine Produzenten selbstverständlich das Recht, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Wäre diese Sicht falsch, dann würden sie über sich selbst kein gutes Zeugnis abgeben. Wichtig ist freilich zu betonen, dass niemand, darunter selbstverständlich kein Pole, das Recht haben würde, den Film zu kritisieren, bevor dieser gezeigt wäre.

In der Ukraine hat aber leider bereits die Absicht des großen polnischen Regisseurs, das Werk zu drehen, heftige Kritik und infame Vorwürfe ausgelöst. Dabei ist die Erwartung, dass man in Polen nach einem halben Jahrhundert der kommunistischen Herrschaft, die die Wahrheit über das Wolhynien-Massaker verschwieg, keinen Film über die grausamen Morde von damals drehen darf – gelinde gesagt – unvernünftig. Immerhin geht es hier um zumindest 100 000 regelrecht abgeschlachtete Polen, worüber nicht zuletzt in dem vor einigen Jahren erschienenen Werk des Historikers Grzegorz Motyka über das Wolhynien-Massaker und die „Aktion Weichsel“ nachzulesen ist. Vor diesem Hintergrund ist es ein primär polnischer Skandal, dass dieser Film im freien Polen so lange auf sich warten ließ.


Heute auf dem Filmfestival in Gdynia endlich gezeigt, wurde "Wolyn" einhellig als ein künstlerisches Meisterwerk beurteilt. Die wie die meisten polnischen Pressetitel sehr Ukraine-freundliche "Gazeta Wyborcza" hat ihn vor ein paar Stunden sogar zum wichtigsten polnischen Film nach 1989 erklärt. Dies geschah nicht aus politischen Gründen. Vielmehr lobte der Rezensent dieser Zeitung, dass im Film das Böse im Menschen thematisiert wird, nicht so sehr das polnisch-ukrainische Verhältnis 1943-1944. In „Wolyn“ würden auch Polen gezeigt, die auf die grausamen Verbrechen der UPA und der ukrainischen Bauern selbst mit dem Griff zu Äxten und Mistgabeln reagierten.

Wenn dieses Urteil über die Qualität des Films stimmt, dann hat Smarzewski künstlerisch Großes geleistet. Ausschließlich die Fähigkeit der Zuschauer, seine Message zu empfangen, wird darüber entscheiden, ob diese Leistung gewürdigt wird und der Film – ganz beiläufig – bei den Polen und Ukrainern (wie auch bei Zuschauern aus anderen Ländern) das Gute weckt. Und Menschen, in denen das Gute lediglich schlummert, sind leicht zum Bösen zu verführen. 
Auch in Jan Mayers Roman "Die Glaskugel" wird Wolyn thematisiert