Am 21.11.24 in "Tagespost" erschienen
Die Ukraine ist nicht nur mit der Perspektive dieses Verrats konfrontiert. Kyjiw steht auch der westlichen Öffentlichkeit gegenüber, die kognitiv von der Erkenntnis überfordert ist, dass das Schweigen der Waffen nur in Verbund mit Freiheit und Gerechtigkeit Frieden bedeuten kann. Deshalb findet die Idee des Scheinfriedens auf Kosten des Überfallenen immer mehr Zustimmung.
Aber Moskau hat sich nicht wegen der Krim oder Donbas, sondern mit dem mehrfach verkündeten Ziel, die Ukraine zu unterwerfen, zum eklatanten Bruch des Völkerrechts entschieden. Die Restukraine soll deshalb weder die dringend gebrauchten ausländischen Investoren anziehen noch imstande sein, Reformen durchzuführen. Schwacher Nachbar im Westen ließe Russland an die EU vorrücken, auch militärisch.
Da Kamala Harris und Joe Biden seit Beginn 2023 immer wieder versprachen, dass die USA das überfallene Land unterstützen würden, und zwar „as long as it takes“, konnte man eine Zeitlang hoffen, dass zumindest die Biden-Administration versteht, was mit diesem Krieg für Europa auf dem Spiel steht. In Realität gewährten jedoch die USA der Ukraine immer weniger Militärunterstützung, während sie ihr stets die rote Linie zeigten: Kyjiw durfte nicht mit den amerikanischen ATACMS-Raketen den Krieg auf russländisches Gebiet tragen. Dahinter stand die Angst vor dem Einsatz taktischer Nuklearwaffen in der Ukraine durch Moskau. Damit ging das Kalkül einher, dass die blutende Ukraine von sich aus nach dem „Frieden für Land“ schreien würde. Der Westen könnte dann seinen Verrat als erfolgreiche Friedensvermittlung ausgeben. Westliche Politiker werden ja nicht müde, zu wiederholen, wie wichtig ihnen das Völkerrecht ist...
Einige Wochen vor der Amtseinführung Donald Trumps ließ aber Joe Biden dennoch unerwartet die besagte rote Schranke teilweise fallen, und zwar in der Kursk-Region, wo Putin Nordkorea am Krieg beteiligen ließ.
Zwar weist alles darauf hin, dass auch Donald Trump willens ist, Ukraine gebietsmäßig zu beschneiden. Zugleich soll er aber die Stationierung von NATO-Truppen entlang der Ostgrenze der Restukraine befürworten. Bereits im Frühling 2022 schlug der stellvertretende Premier Polens Jarosław Kaczyński weise als Erster die Aufstellung der NATO-Soldaten in der Ukraine vor. Sollte Russland die sich wiederaufbauende Restukraine überfallen, würde es die westlichen Soldaten töten müssen, was den NATO-Verteidigungsfall auslöste. Das Szenario würde Kyjiw mehr Sicherheit geben als die ihm von der NATO mehrfach versprochene, aber nicht ernst gemeinte Aufnahme in das westliche Verteidigungsbündnis.
Laut Berichten will Donald Trump nicht die amerikanischen, sondern die deutschen, die polnischen, die schwedischen und anderer Europäer Truppen in die Ostukraine geschickt haben. Und die Europäer, nicht die USA, sollen dafür zahlen. Auch das wäre ein weiser Schritt. Westeuropa würde aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit austreten und endlich lernen, dass eigene Sicherheit nicht mit dem Leben der ukrainischen Soldaten, sondern mit sehr hohem eigenem Einsatz erkauft werden muss.
Spekulationen über Trumps vermeintliche Friedenspläne sind jedoch voreilig, weil nur ein geschlagener Putin in echte Verhandlungen eintreten, geschweige denn die Stationierung der NATO-Truppen im ukrainischen „Bruderland“ akzeptieren würde. Wenn also Trump die Restukraine nicht weiterhin jahrelang weichkochen will, dann muss er nicht erst am Ende, sondern zu Beginn seiner Amtszeit die Entschlossenheit zeigen, den Konflikt, wenn nötig, zu eskalieren. Er könnte zum Beispiel die von Biden gesetzten Einschränkungen des Einsatzes von ATACMS aufheben und auf Olaf Scholz in den letzten Wochen seiner Kanzlerschaft öffentlich Druck ausüben, damit dieser an die Ukraine Taurus-Raketen liefert. Putin muss wissen, dass er einen Gegenspieler bekommen hat, der vor Moskaus Drohungen nicht einknicken wird.
Sonst wird Donald Trump nicht nur zum Verräter. Er wird ähnlich so manchem EU-Politiker darüber hinaus zum Verlierer, dem jeder Krimineller, jeder Putin überlegen ist.