10.11.2011

Deutschland mit Russland gegen Europa

Vorgestern - am 8. November 2011 - ist die Ostsee-Pipeline North Stream in Betrieb genommen worden. Obwohl die deutschen Pressekommentare dazu manchmal durchaus kritische Töne enthalten, wird dieses Projekt hierzulande doch letztlich als "europäisch" verstanden, wozu auch die gezielte Propaganda der Bundesregierung beiträgt. Diese Propaganda entbehrt jedoch jeder Grundlage. Denn beim North Stream handelt es sich um ein in erster Linie deutsch-russisches Projekt, das vitale Interessen einiger europäischer Länder verletzt und überhaupt nicht europäisch ist.

Mit diesem Projekt verlieren Belarus und Polen jährlich einige Hundert Millionen Euro an Transitgebühren. Hätten die Politiker dieser Länder die geistige Beschaffenheit und Mentalität deutscher Eliten, würden sie schon aufgrund dieser Verluste nie zu protestieren aufgehört. Da sie aber nicht teutonisch gestrickt sind, haben sie begriffen, dass von Deutschland die finanziellen Interessen der manchmal als "Freunde" apostrophierten Staaten und Völker nicht berücksichtigt werden, wenn es selbst ein Geschäft mit Russland wittert (diese Mentalität erinnert übrigens sehr an die hierzulande immer noch sehr populären Stereotype über so manches Volk). Diesen nüchternen Befund transportieren nun die Eliten der genannten östlichen Ländern eifrig in die breite Welt.

Wesentlich mehr als Geld wiegt jedoch die so gut wie niemals angesprochene Tatsache: Mit North Stream werden besonders Belarus und die Ukraine zugunsten Russlands strategisch geschwächt. In Zukunft wird der Kreml diesen Ländern (und selbstverständlich auch Polen) den Gashahn zudrehen können, ohne auf die Kritik in Deutschland achten zu müssen. Denn in der Bundesrepublik werden die Probleme Osteuropas nur dann überhaupt wahrgenommen, wenn dabei deutsche Interessen - etwa eigene Versorgung mit Gas - bedroht sind. Deshalb stellt sich Deutschland mit der Ostseepipeline dezidiert auf die Seite des (neo-)imperialen Russlands und gegen jene Länder, die zwischen dem demokratischen Deutschland und dem autoritären Russland liegen. Die alte Tradition der deutschen Außenpolitik, die es bekanntlich sogar vermochte, zeitweilig eine Freundschaft zwischen Hitler und Stalin zu stiften, wird sodann fortgesetzt.

Diese Pipline birgt aber auch beträchtliche Gefahren für dieses meine Land in sich. Sie resultieren aus der eben erwähnten Mentalität, die dem Sinieren (vom "Denken" kann man in diesem Zusammenhang gar nicht sprechen) in Kategorien des pekuniär verstanden nationalen Egoismus inne wohnen. Wie die Regierungschefin vorgestern eröffnete: "Wir setzen auf eine sichere und belastbare Zusammenarbeit mit Russland". Das bedeutet offenbar, dass man sich der Gefahr der Erpressung seitens eines autoritären Staates aussetzen darf. Einige prominente Geistestitanen der deutschen Politik haben bereits diese Gefahr zu relativieren versucht: "Die Russen" würden nun auch abhängig werden, vom deutschen Geld eben. Es bleibt nur zu fragen, ob anzunehmen ist, dass die Bundesrepublik imstande und willens ist, den Kreml etwa mit der Aussetzung der Zahlungen zu erpressen. Und umgekehrt...?

Nicht dieses Projekt, das sich vielleicht noch nur als eine ökonomische Fehlinvestition erweisen wird, bedrückt aber am meisten. Überall in der Welt werden aus Fehlkalkulation und Gier heraus falsche Entscheidungen getroffen. Am Problem North Stream schmerzt eher der angedeutete Zustand der Eliten. Unsere Eliten versagen dabei, die Freiheit, in die sie hineingeboren sind, auch verantwortungsvoll zu nutzen, weil sie zum beträchtlichen Teil obrigkeitshörig und antieuropäisch sind. Wenn sie schon eine solche Missgeburt wie North Stream nicht zu verhindern trachteten, hätten sie sie zumindest rational kritisieren müssen. Diese abendländische Rationalität glauben die Angehörigen der hiesigen Eliten doch mit Muttermilch eingesogen zu haben (wie ihre stets sorgfältig verheimlichte Verachtung für Russland).