Es gibt zwei Missverständnisse über das von Aljaksandr Lukaschenka regierte Land. Zum einen wird es in Deutschland „Weißrussland“ genannt, obwohl
es nicht einen Teil von Russland, sondern von Rus‘ darstellt. Rus‘ wiederum bildet
einen Raum, der neben Russland die Ukraine und eben – so der richtige Name –
Belarus umfasst (dazu mehr in einem früheren Eintrag hier - über die Kulturtasche der deutschen Politik). Zum anderen wird Lukaschenka als der „letzte Diktator Europas“
apostrophiert, als wären Wladimir Putin in Russland oder Wiktor Janukowytsch in
der Ukraine, die auch politische Opposition verabscheuen, lupenreine
Demokraten.
Was unser Auswärtige Amt mit der flegelhaften Übersetzung
des Landesnamens sprachlich vorgibt, das versucht der Kreml in Realität
umzusetzen: Putin will aus Belarus tatsächlich „Weißrussland“ machen, d.h. eine
Republik der Russländischen Föderation. Zu Beginn wünscht er sich den
russischen Rubel und eine Privatisierung, an der sich russische Oligarchen
beteiligen dürfen, im westlichen Nachbarland. Lukaschenka, der dort die
Kontrolle über die gesamte (Staats)Wirtschaft ausübt, ist zwar auf russische
Kredite angewiesen, aber nicht um den Preis der Selbstentmachtung. Indem er
sich gegen die Forderungen Putins stemmt, verteidigt er, ein Sowjetmensch ohne
nationale Gefühle für Belarus, paradoxerweise die belarussische Unabhängigkeit.
Die Europäische Union will diese Unabhängigkeit vor Russland
schützen. Vor einigen Jahren hatte sie sogar Lukaschenka für Demokratisierungsreformen
mit Krediten unterstützt. Dabei hatte sie den Fehler begangen, dies im Voraus zu
tun. Lukaschenka hatte das Geld genommen und gleich darauf politische Schraube wieder
zugedreht. Da er seitdem die Klugheit der westeuropäischen Politiker nicht allzu
hoch einschätzt, wollte er im Vorfeld der Parlamentswahlen am letzten
Sonntag wieder das Spiel mit ihnen aufnehmen. Er ließ die meisten politischen
Gefangenen frei und zeigte sich in Verhandlungen mit der EU konziliant.
Doch die EU hat ihre Lektion gut gelernt. Sie forderte nun, dass
der belarussischen Opposition tatsächlich Möglichkeiten freier politischer
Betätigung eingeräumt werden sollen. Ausgerechnet auf diesem Feld hatte der
Präsident es nicht vor, die Europäer zufriedenzustellen. Mit Repression brachte
er den Großteil seiner zerstrittenen politischen Gegner dazu, die Wahlen zum Obersten Sowjet zu
boykottieren. Nach dem Wahlakt ließ er die gefälschten Wahlergebnisse wieder von
der gleichen nach einer sowjetischen Universtitätsdozentin aussehenden Frau bekanntgeben, die seit Jahren die Vorsitzende der staatlichen
Wahlausschüsse mimt. Wie gewöhnt holte er sich zudem die „russischen Beobachter“
ins Land, darunter auch im eigenen Land erfahrene Wahlfälscher, die seit Sonntag den „demokratischen Charakter der Wahlen“ loben. Von
einem polnischen Journalisten gefragt, wie hoch denn die Wahlbeteiligung tatsächlich
war (unabhängige Beobachter gehen von knapp 40% aus, während das Wahlgesetz 50%
vorschreibt), empfahl der Präsident öffentlich, Polen solle sich in Sachen freier
Wahlen Belarus zum Vorbild nehmen.
Aber nur scheinbar ändert sich in „Weißrussland“ nichts. Denn
das diesmal außergewöhnlich große Ausmaß der Wahlfälschung und die
Wirtschaftskrise sprechen dafür, dass in der Bevölkerung die früher hohe Unterstützung
für Lukaschenka bröckelt.
Dieser Artikel ist in einer leicht geänderten Fassung in der "Mittelbayerische Zeitung" vom 28.09.2012 erschienen.