Es ist der Text des Vortrages, den ich am 7. November im Rahmen des 5. Höhenschönhausen-Forums in der Gedenkstätte gehalten habe.
Das öffentliche Interesse für die Problematik der postkommunistischen
Eliten ist heutzutage nicht mehr so groß wie vor zwei Jahrzehnten. Es war
früher bestimmt durch die noch gegenwärtige Diskreditierung des Kommunismus,
welcher der Wunsch nach einer politischen Säuberung – nach der Entfernung der
Kommunisten von Staatsposten – folgte. Diesem Wunsch ist in den meisten betroffenen
Ländern auch scheinbar entsprochen worden. Denn die Gallionsfiguren der alten
Ordnung – d.h. die kommunistische Parteispitze – wurden tatsächlich von der
Macht entfernt. Dieser spektakuläre Vorgang hatte aber bloß symbolische
Bedeutung, und zwar im zweierlei Sinne. Zum einen handelte es sich bei den
kommunistischen Spitzenfunktionären definitionsgemäß um eine sehr kleine
Gruppe. Zum anderen geschah es oft, dass diese Säuberung von jenen
Parteigenossen durchgeführt wurde, die daraufhin – bereits zu
„Sozialdemokraten“ umgewandelt – selbst die Macht im Staat übernahmen (unübersehbar
war diese Entwicklungsvariante in Bulgarien nach November und in Rumänien nach Dezember
1989).
Sieht man von der politisch durchaus wichtigen Symbolik ab,
so betrifft die Frage nach dem Elitenwechsel primär Abertausende Funktionäre
der Nomenklatura, darunter selbstverständlich der kommunistischen Partei und
ggf. der „Blockflötenparteien“, die selbst in den vom Elitenimport geprägten neuen
Bundesländern nicht alle ausgewechselt werden konnten. Es wundert nicht, dass die
Vergangenheit großer Elitensegmente als graue Funktionärsmasse heute kaum
jemanden interessiert. Von daher birgt die Problematik der ehemals
kommunistischen Eliten so gut wie keine politische Brisanz in sich, und zwar sowohl
in Deutschland als auch in den anderen postkommunistischen Ländern. Das gilt
sogar für die Politikwissenschaft. Hatten wir es noch in der ersten Hälfte der
neunziger Jahre mit einer Flut von empirischen Studien zur Entstehung der
postkommunistischen Eliten zu tun, so werden heute in den wissenschaftlichen Publikationen
dazu die früheren Untersuchungsergebnisse bloß aufgefrischt. Auch die Tatsache spielt
in diesem Zusammenhang eine große Rolle, dass die Wirklichkeit die anfangs vielleicht
zentrale These der postkommunistischen Elitenforschung falsifiziert hat. Diese
besagte, dass die Demokratie nach dem Kommunismus dann die größten Chancen hat,
wenn das Ausmaß des Elitenwechsels (d.h. der „Elitenzirkulation“) wesentlich
größer ist als das Ausmaß der Elitenkontinuität (der „Elitenreproduktion“).
Dabei sind Probleme mit der Demokratisierung damals tatsächlich
ausgerechnet in jenen Ländern unübersehbar geworden, in denen die Elitenkontinuität
am größten war: Belarus, Bulgarien, Rumänien, Russland, die Ukraine. In den
Ländern dagegen, in denen die politische Säuberung im direkten Anschluss an den
politischen Umbruch größere Ausmaße annahm und wo anschließend newcomer zu den Elitenposten vorrückten,
konnte man über das demokratische Wunder staunen: neue Bundesländer, Polen, Tschechien, Ungarn. In diesen Ländern
– und das ist das wichtigste Ergebnis der empirischen Elitenforschung der
neunziger Jahre – stellte sich, statistisch betrachtet, ein ausgewogenes Verhältnis der Elitenreproduktion (Kontinuität) und
der Elitenzirkulation (Diskontinuität) ein.
Diejenigen Beobachter, die die Affinität von Elitenwechsel
und Demokratie zu einem Gesetz erhoben, übersehen oder bestenfalls
missverstanden zugleich einen anderen eigentlich nicht übersehbaren Befund der
Elitenforschung. Die relativ starke Elitenzirkulation fand nämlich in jenen Ländern
statt, die sich sonst bezüglich der Eliten zuweilen markant voneinander
unterschieden. Diese Unterschiede betrafen so wichtige Merkmale wie:
die Loyalität der alten Eliten gegenüber dem
kommunistischen System. Diese Loyalität war in der DDR ungleich stärker
ausgeprägt als z.B. in Ungarn, von Polen ganz zu schweigen;
die Stärke der antikommunistischen Gegenelite im
kommunistischen System. In Polen war diese sehr stark, während er in der DDR
und der Tschechoslowakei bekanntlich politisch weitestgehend irrelevant war;
den Elitenimport. Die neuen Bundesländer
erlebten ihn in einem Ausmaß, das aus nachvollziehbaren Gründen in den anderen
Ländern nicht Mal ansatzweise auftreten konnte.
Wer also den demokratischen Erfolg der postkommunistischen
Transformation auf die relativ starke Elitenzirkulation zurückführt, der sieht
zugleich den Zustand der jeweiligen kommunistischen Elite und der jeweiligen
Gegenelite wie auch den äußeren Einfluss auf die jeweilige Demokratisierung als
belanglos an. Ebenso belanglos müssen ihm auch die weiteren – neben dem relativ
hohen Grad der Elitenzirkulation – empirisch belegten Ähnlichkeiten der
Elitenentwicklung in allen postkommunistischen Demokratien vorkamen:
die Anpassung der alten Nomenklatura-Eliten an
das neue, demokratische System erfolgte in einem atemberaubenden Tempo,
die Abwanderung der beträchtlichen Teile politischer
und ideologischer Eliten in die Wirtschaft,
„revolution
of deputies“ – der Aufstieg der zweiten Reihe der Nomenklatura,
der später – nach der erfolgreichen
Institutionalisierung der Demokratie – erfolgte Aufstieg der ehemaligen Elitenangehörigen
bzw. zumindest der ehemaligen Parteimitglieder oder der Spitzel der
kommunistischen Sicherheitsdienste in manchen Elitensegmenten (etwa in Parlamenten
– die Parlamente der neuen Bundesländer stellen dafür ein anschauliches
Beispiel dar).
All diese von der Forschung konstatierten Ähnlichkeiten und
Unterschiede der Elitenentwicklung lassen den Schluss zu, dass nicht so sehr das
Ausmaß des Elitenwechsels die Chancen der Demokratie im Postkommunismus bestimmt,
sondern dass diese Chancen von anderen, mit den Eliten bestenfalls
zusammenhängenden Faktoren abhängen. Das
Beispiel des im Postkommunismus einmaligen Elitentransfers in die neuen
Bundesländer bestätigt es: Obwohl in den neuen Bundesländern die entscheidenden
Elitenpositionen durch „Westimporte“ übernommen wurden und es in der DDR kaum
eine antikommunistische Gegenelite gegeben hatte, fand in den neuen
Bundesländern ein im Vergleich zu den anderen postkommunistischen Ländern durchaus
beachtenswerter Aufstieg der newcomer
statt.
Welche Faktoren begünstigten also die stärkere
Elitenzirkulation und die rapide gewachsene demokratische Loyalität der vom
alten System übernommenen Eliten? Sowohl die Elitenzirkulation als auch die
neue Systemloyalität schufen jene konsensuell
vereinte Elite, die ohne jeden Zweifel jede Demokratie braucht.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf zwei Faktoren hinweisen:
Es tat der Demokratie gut, wenn die Kommunisten
bzw. ihre direkten Nachfolger nach den Gründungswahlen in die Opposition gehen
mussten. In dieser Rolle lernten sie sehr schnell, was für ein gutes System die
rechtsstaatliche Demokratie darstellt. Aber nicht nur in den späteren
postkommunistischen Demokratien, sondern auch in Belarus, der Ukraine und
Russland verloren die Kommunisten die ersten freien Wahlen. Ihre Erfahrung als
politische Opposition erklärt also alleine ihre neue Akzeptanz der Demokratie
nicht.
Die Demokratien entstanden ausschließlich in
jenen postkommunistischen Ländern, die von jeher dem westlichen Kulturkreis
angehören. Diese Zugehörigkeit hat offenbar irgendwie auf die Bereitschaft der postkommunistischen Eliten, den
Verfahrenskonsens westlicher Demokratien zu respektieren, auch einen großen
Einfluss ausgeübt. Bei der Erkundung dieses Feldes hilft uns aber die statistisch-empirische
Elitenforschung kaum weiter.
In Bezug auf die Eliten im Postkommunismus sind auch die
Fragen ihrer Kompetenz und ihrer Bindung an das Gemeinwohl sehr bedeutsam.
Diese Faktoren bestimmen jedoch nicht so sehr die Chancen der
postkommunistischen Demokratie, sondern bloß ihre Qualität. Und diese lässt noch
viel zu wünschen übrig.