Wenn man bei dem in Polen nach dem Kommunismus vollbrachten Systemwechsel
von der Freiheit der Polen sprechen
kann, dann betrifft sie in erster Linie die ihnen unter der deutschen Besatzung
im Zweiten Weltkrieg und im Sozialismus verwehrte Freiheit des Wirtschaftens. Mit
der von Leszek Balcerowicz konzipierten marktwirtschaftlichen „Schocktherapie“
des Jahres 1990 gewann die Ökonomie auf einen Schlag ihre Autonomie gegenüber
dem Staat wieder, was zu einer explosivartigen Entwicklung des privaten Sektors
geführt hat. Der kleine Mittelstand macht mittlerweile gut neunzig Prozent der
polnischen Wirtschaft aus. Er, die Investitionen aus dem Ausland und die stets steigenden
Exporte sorgen für eine turboartige Wohlstandssteigerung, die nach den immensen
sozialen Verwerfungen der ersten Nach-Sozialismus-Jahre seit in etwa Mitte der
Neunziger andauert. Es ist zwar immer noch nicht gelungen, der – zumindest nach
Meinung von „The Economist“ und (was schon erstaunen muss) Vaclav Klaus – in
den letzten zwei Jahrzehnten erfolgreichsten Volkswirtschaft Europas viel innovative
Kraft abzugewinnen. Es gibt jedoch keinen Grund zur Annahme, es werde immer so
bleiben, auch nachdem die gegenwärtigen Wachstumsquellen ausgeschöpft sein
werden.
Trotz und vielleicht wegen des wirtschaftlichen Erfolges ist
es im Lande zu einer tiefen sozialen Spaltung gekommen, die sich mittlerweile
in vielerlei Hinsicht mit der politisch-kulturellen Trennlinie zwischen dem
„traditionellen“ und dem „offenen“ Polen deckt. Die weitere Wohlstandssteigerung
könnte zwar dazu beitragen, die Folgen dieses Bruchs zu mildern. Der polnische
Staat scheitert jedoch bisher an dieser Aufgabe. Und nicht nur daran.Fortsetzung folgt