16.07.2015

Vier Argumente gegen die (halb)offizielle deutsche Selbstgefälligkeit in der Griechenland-Krise

Es geht wirklich zu weit, dass ausgerechnet in Deutschland, und konkret in den deutschen Medien, immer wieder "die osteuropäischen Staaten" als das Vorbild  für "die Griechen" herangezogen werden. Um sich wirtschaftlich aufzurichten, hätten "die Osteuropäer" so viele Entbehrungen auf sich genommen gehabt, dass angesichts dessen die griechischen Reformbemühungen der letzten Jahre verblassen würden. Ohne gegen dieses politische und mediale Hauptargument inhaltlich vorzugehen, sei hier auf vier Sachverhalte hingewiesen:

Erstens würde dieses unerwartete Lob der Mittel- und Nordosteuropäer nur dann glaubwürdig klingen, wenn die gleichen Medien es auch zuvor ausgesprochen hätten. Dies geschah aber nicht, obwohl viele postkommunistische Reformländer ihre Wirtschaftstransformation besser gemeistert hatten als die Deutschen. Es vergingen mittlerweile ganze Jahrzehnte, seitdem diese Tatsache für die gutwilligen Beobachter (etwa in der angelsächsischen Welt) offensichtlich geworden war. Brauchte man in Deutschland wirklich die Griechenland-Krise, um den Erfolg einiger postkommunistischer Länder zu würdigen?

Zweitens: Es waren ausgerechnet die Deutschen, die die wirtschaftsliberalen Reformen in den heute in den meisten deutschen Medien plötzlich als besonders erfolgreich anerkannten postkommunistischen Ländern - speziell in den baltischen Staaten und Polen - am kritischsten betrachtet hatten. In Deutschland hatte man sich während der dortigen Systemtransformation - dh. besonders in der ersten Hälfte der neunziger Jahre - fast beleidigt gegeben, dass in Mittel- und Nordosteuropa die bereits damals längst zur Worthülse verkommene deutsche "soziale Marktwirtschaft" nicht als das Vorbild betrachtet wurde. Die meisten Empfehlungen, die die deutschen Eliten damals Richtung europäischen Osten ausgestoßen hatten, waren schlichtweg wirklichkeitsfremd und ignorant gewesen. Inhaltlich ähnelten sie übrigens jenen heute hierzulande so verfemten Vorstellungen, mit denen in Griechenland die Syriza im Januar die Parlamentswahlen und Aleksis Tsipras im Juli das Referendum gewonnen haben. Nebenbei bemerkt: Dass Tsipras vor einigen Monaten zum Verbrecher und EU-Feind Putin gefahren ist, um Hilfe zu erbitten, darüber haben sich diese Medien keineswegs einhellig empört.

Drittens ist es ausgerechnet Wolfgang Schäuble, den die meisten deutschen Medien heutzutage gegen die Kritik aus aller Welt heftig verteidigen, im eigenen Land niemals als Reformpolitiker oder wenn auch nur ein guter Finanzminister aufgefallen. Deshalb wirkt seine andauernde Griechenland-Schelte nicht gerade glaubwürdig. Er ist daher - milde gesagt - ein falscher Lehrmeister für Griechenland (von der EU oder der Euro-Zone ganz zu schweigen).

Viertens haben die allermeisten Deutschen so gut wie keine Ahnung von "den osteuropäischen Staaten", wozu neben der deutschen Schule ausgerechnet jene Medien, von denen hier die Rede ist, entscheidend und redlich beigetragen haben. Und wenn man etwas nicht weiß, soll man darüber schweigen.