08.04.2020

Wird Putin die Krise überstehen?



Mit der spektakulären Militärhilfe für das mit den tragischen Folgen der Pandemie ringende Italien versuchte Putin, international von der größten Krise seines Regimes, der ersten, von der ungewiss ist, ob er sie überstehen wird, abzulenken.

Offenbar wurde er Mitte Januar gezwungen, den Premierminister auszuwechseln. Zu viele Menschen in der russländischen Elite waren seit Jahren mit der Leistung des System Putin unzufrieden. Die Trennung vom Medwedew, dessen Treue zu seinem Herren den langjährigen Premier und zeitweilig den "Präsidentenersatz" unzählige Male über alle Schmerzgrenzen der Erniedrigung hatte gehen lassen, war erfolgt, ehe Coronavirus in Russland zum Hauptthema geworden ist.

Mit einem stillen Staatsstreich ließ Putin zwei Monate später die Verfassung ändern, um sich für die 12 Jahre nach 2024 die Herrschaft zu sichern. Er ist fest entschlossen, bis zu seinem letzten Atemzug an der Macht zu bleiben, weil ihm bewusst ist, dass er ansonsten eher oder später ins russische Gefängnis oder auf eine Laterne befördert sein würde. Es kommt hinzu, dass er wegen des Abschusses von MH-17 im Jahre 2014 durch ein holländisches Gericht belangt werden könnte. Es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht die kriminelle Befehlskette, die zum Tod von 298 Zivilisten geführt hatte, unnachgiebig nachverfolgen wird. Das würde in einen Auslieferungsgesuch münden. Es braucht Immunität.

Seitdem der Corona-Virus die Politik bestimmt, meidet der Mann, der ansonsten meisterhaft die Kunst beherrscht, mit den Medien umzugehen, öffentliche Auftritte. Wahrscheinlich kann man den russischen Zahlen über die Ausbreitung der Pandemie nicht glauben. Sicher ist demgegenüber, dass der russländische Gesundheitsdienst auf eine derartige Krise nicht vorbereitet ist. Putin tut also alles, um nicht zum Gesicht des Verantwortlichen für die Beilegung der Krise zu werden. Das ist neu.

Anders als nach den Protesten gegen die Wahlfarce im Dezember 2011 hat Putin jetzt nicht die Möglichkeit, mit einem kleinen Krieg oder einem Überfall auf ein anderes Land sowie mit der Propaganda die Russen in eine Hurra-Stimmung zu versetzen. Wenn es um ihr eigenes Leben geht, werden sie schon die Emotionen, die sie treiben, entweder beherrschen (der Propaganda nicht glauben) oder gegen den vermeintlichen Mann der Vorsehung richten. Damit ist der Präsident den wichtigsten Pfeiler seiner Macht los - die Lüge und die mutwillige Naivität seiner Untertanen.

Der andere Pfeiler - Gewalt - ist jetzt nur bedingt einsetzbar. Wegen Corona-Virus haben die Moskauer einen Ausgehverbot für einen Monat verpasst bekommen. Mehr als sonst sind die Russen also der aufmunternden Propaganda ihres Fernsehens ausgesetzt, der sie aber - wie dargelegt - nicht mehr glauben können...

Die Opportunisten im Putinschen Machtapparat erkennen diese Schwächen des Mannes, mit dem sie sich einst verbunden hatten. Sie wären nicht gerade gescheit, wenn sie sich nicht darüber Gedanken machen würden, was geschehen wird, wenn ihr untergetauchter Gönner sich nicht bald zur seiner Verantwortung für das Land in der Krise bekennt. Und was geschieht, wenn er sich dazu bekennt?

Systeme, die auf Lüge und Gewalt basieren, sind in Krisen nur dann stark, wenn sie beide Instrumente wirksam anwenden können. Wie kann es Putin heute tun?

Die Länge der Krise wird für sein politisches Schicksal entscheidend sein. Die zentrale Frage ist, ob der schleichende Zusammenbruch des Gesundheitsdienstes und der seit Jahren schwachen Wirtschaft mit den vorhandenen Geldreserven überstanden werden kann. Die wichtigste Quelle des scheinbaren Reichtums von Russland - Öl - ist augenblicklich trocken. Einige Experten behaupten, dass die Reserven nur für drei Monate reichen.

Aber - wie geschildert - es kommt nicht nur auf das Geld an. Vielmehr steht Putin im Zentrum eines Systems, das ohne ihn nicht funktionieren kann. Ob es mit der Krise von heute zurecht kommt, ist mehr als ungewiss. Eigentlich könnte das stark angeschlagene Italien Putin Hilfe leisten. Es wird die Koronakrise überstehen.