07.06.2012

Der polnischen Nationalmannschaft soll man keinen EM-Erfolg wünschen

Die Polen hatten Mal guten Fußball - wirklich! Sie waren WM-Dritte 1974 und ebenso WM-Dritte 1982. Sie waren binnen des knappen Jahrzehnts dazwischen dazu imstande, Holland, Italien, Brasilien u.a. Fußballgroße zu schlagen, manche von diesen Mannschaften (etwa Holland, Frankreich oder Italien) sogar vom Feld wegzupusten. Diese Erfolge fielen auf die beste Zeit der kommunistischen Ökonomie im Lande - der mit Schulden finanzierte Konsum boomte. Man konnte  zuweilen den Eindruck gewinnen, die Polen wären mit der Unfreiheit des Kommunismus zu versöhnen gewesen, wenn sie gut zu essen und Autos zu kaufen bekämen sowie einen guten Sport - allen voran den Weltklassefußball - beibehielten.

Obwohl der Fußball dort nach wie vor der Nationalsport Nummer eins ist, lebt Polen seit gut einer Generation schon ohne eine gute Nationalmannschaft. Denn mit dem Niedergang der zentralen Planwirtschaft  Ende der Siebziger ging auch der langsame Niedergang des polnischen Fußballs einher. Zeitgleich begann jedoch die schönste und erfolgreichste Periode der modernen polnischen Geschichte (wenn man von den großartigen Reformen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts absieht). Die polnische Nation hat nacheinander den visionären "Papst des Jahrhunderts" hervorgebracht, den Kommunismus auf friedlichem Wege - nicht zuletzt durch die Erfindung des Runden Tisches - beseitigt, somit den Zerfall des Ostblocks maßgeblich beeinflusst und den Traum der zwei Jahrhunderte verwirklicht - die staatliche Unabhängigkeit wiedererlangt. Obendrauf hat sie noch eine große Transformation zur Demokratie, Marktwirtschaft sowie den NATO- und EU-Beitritt gemeistert. Die weiß-rote Fahne und der weiße Adler standen in diesen Jahrzehnten für Menschenwürde, Wahrheit, Freiheit, Mut - alles Werte, die weder in Ost noch in West groß geschrieben wurden (werden), für die aber in Polen Dutzende starben, Tausende in Gefängnisse gingen, Ungezählte verfolgt wurden und Millionen hart arbeiteten. Was bedeutete schon angesichts dieser Tatsachen der Umstand, dass die polnische Fußballmannschaft in die globale Drittklassigkeit abrutschte und heute auf den UEFA-Ratingslisten vielleicht auf  dem 30. oder dem 50. Platz rangiert?

Nun haben die Polen eine immer stärkere Wirtschaft - nach der Jahrtausendwende wahrscheinlich die erfolgreichste im Europa. Wahrend im letzten Jahrzehnt in den europäischen Ländern die Ökonomie insgesamt durchschnittlich um 10 Prozent gewachsen ist, hat sie in Polen, das bisher selbst in den vier letzten Krisenjahren keine Rezession erlebt hat, ganze 40 Prozent zugelegt. Wenn die Analogie mit den Siebzigern stimmt, so muss sich auch der polnische Fußball bald erholen. Es gibt  einige Anzeichen dafür: Einige polnische Fußballspieler haben Weltklasseniveau und mit ihren ausländischen Vereinen große Erfolge feiern können. Und die bisher hoffnungslos korrupte, von ehemals kommunistischen Funktionären regierte polnische Liga sorgt für immer mehr talentierte Spieler (Rafal Wolski! - http://www.youtube.com/watch?v=co9uy0k4wG4 - unbedingt bis zum Ende sehen!).

Vielleicht soll man unter diesen Umständen der polnischen Nationalmannschaft vorsichtshalber während der morgen beginnenden EM einen Achtungserfolg wünschen?

Ich würde es gerne tun, kann aber nicht. Denn ich war gerade eben in Polen und habe entsetzt viele mit Nationalsymbolen "geschmückte" Autos gesehen. Diese nationale Billigkeit geht mir zu weit. Und überhaupt will ich es nicht haben, dass emotional aus allen Fugen geratene kollektive Bier-Säufer das in Frage stellen, wofür die weiß-rote Fahne und der weiße Adler mit Krone stehen.