20.02.2013

Joachim Gauck an der Regensburger Universität

Gestern - am 19. Februar - fand an der Uni Regensburg ein Treffen mit unserem Bundespräsidenten Joachim Gauck statt. Dieser außergewöhnliche Mann, den wir nur einer außergewöhnlichen politischen Konstellation vor einem Jahr und zum Glück nicht der Entscheidung der Bundeskanzlerin verdanken (siehe dazu meine hier vor einem Jahr veröffentlichten Posts; etwa: http://jerzy-mackow.blogspot.de/2012/02/zuerst-gauck-for-president-dann.html), machte auch in Regensburg einen tollen Eindruck: einnehmend, witzig, natürlich. Alles in allem ergab jedoch die Diskussion "über Europa", in der das Staatsoberhaupt bloß eine Statistenrolle spielte, nichts. Das zentrale Problem Europas, das der Präsident am Anfang der Runde noch direkt ansprechen konnte - "die Mauer in Köpfen" -, wurde so gut wie nicht thematisiert. Die Veranstaltung wurde deshalb zur einer ausgerechnet bei dieser Person und diesem Amt ganz unnötig untertänig wirkenden Selbstdarstellung der Universität vor dem Hohen Gast. Damit blieben der Intellekt und die rhetorische Begabung Joachim Gaucks unterfordert.

Schade. Denn der mit der Erfahrung des Kommunismus "gesegnete" ostdeutsche Antikommunist Joachim Gauck hätte unter anderen Bedingungen sicher einen glänzenden Gesprächspartner zum Thema Europa abgegeben. Gauck versteht es: Was für das Verhältnis Westdeutschland-Ostdeutschlands gilt, gilt auch zumindest teilweise für das Verhältnis Deutschland-Europa. Hierzulande wird jedoch das immer noch eklatante Scheitern der kulturell-geistigen Integration von Westen und Osten Deutschlands tausendfach konstatiert, ohne dass kritisch nachgefragt wird, woran es liegt. Hätte man aber diese Frage gestellt, dann könnte man aus diesem deutschen Scheitern recht viel für Europa lernen. Denn das Desinteresse der Westdeutschen an Ostdeutschland (die auch an unserer Uni offensichtlich ist) und die westdeutsche Vermischung von Westdeutschland mit Deutschland haben die gleichen zwei Ursachen wie das Desinteresse der Westeuropäer an Mittel-, Südost-, Nordost- und Osteuropa: Ignoranz und Arroganz.

Die Ignoranz bezieht sich vor allem auf die Geschichte, die Geographie und das Verständnis für die Besonderheiten der Entwicklungen in "den östlichen Ländern". Die Arroganz entspringt wiederum der Sozialpsychologie der Vermeintlich Besser Entwickelten. Diese Ignoranz und Arroganz führen dazu, dass die Westdeutschen (bzw. die westeuropäischen EU-Mitglieder) immer noch von der Mauer (der alten EU) träumen, die sie zudem allen Ernstes von jeher für "Deutschland" ("Europa") halten.

Aus diesen Sachverhalten ergeben sich Fragen, die jeder universitären Diskussion über Europa gut täten: Wie soll man über die europäische Identität ausgerechnet in Deutschland, wo der Geschichtsunterricht in Schulen de facto abgeschafft worden ist, überhaupt sprechen? Oder: Wie kann man in einer materialistischen Arbeits- und Spaßgesesellschaft den idealistischen Einsatz für Europa fördern? Oder auf die Uni bezogen: Wie kann man die "westlichen" Studenten für die Veranstaltungen und Studiengänge, die sich mit "dem Osten" beschäftigen, begeistern, wenn die meisten von ihnen nicht nur die "osteuropäische", sondern auch die eigene Geschichte nicht kennen und trotzdem in ihrer Gesellschaft Spaß und Erfolg haben können? Last but not least: Wie soll man solche feinen Zielsetzungen anstreben an einer dauerhaft unterfinanzierten Universität, die sich längst zu einer Massenfortbildungsstätte für beinahe Hälfte der jungen Erwachsenenpopulation entwickelt hat?

Nur wenn man sich mit solchen Fragen beschäftigt, beschäftigt man sich auch mit der europäischen Wirklichkeit. Und sie kann niemanden, der europäisch denkt, zufrieden stellen. Der einfachste bzw. billigste Weg, der Unzufriedenheit zu entkommen, ist Selbstlob.