Politische Kommentare sollen deutliche Meinungen enthalten und verständlich geschrieben sein. Auch müssen sie meistens sehr schnell geschrieben werden. Gute Kommentare zu schreiben ist wirklich eine Kunst. Wer das kann, darf sich häufig preisen, viele Menschen zu erreichen.
Wissenschaftliche Qualifizierungsarbeiten, darunter Dissertationen, werden dagegen lange Zeit und für eine nur begrenzte Gruppe von wissenschaftlich interessierten Lesern verfasst. Nur die wenigsten Wissenschaftler schaffen es, so verständlich zu schreiben wie die Zeitungskommentatoren. Wenn es ihnen trotzdem gelingt, dann normalerweise deshalb, weil sie die Komplexität der analysierten Problematik reduziert haben. Dies ist zwar manchmal zulässig, aber birgt zugleich auch stets die Gefahr in sich, dass dem Wissenschaftler der zuweilen berechtigte Vorwurf gemacht werden kann, er habe seinen Beruf verfehlt.
Ein ehemaliger deutscher Minister hat bekanntlich in seiner Dissertation im Fach Jura u.a. aus Zeitungen abgeschrieben, ohne dies kenntlich gemacht zu haben. Er ist übrigens mehrfach dadurch aufgefallen, dass er sich durchaus publikumswirksam in die Szene zu setzen und so seiner politischen Karriere immer wieder zum neuen Durchbruch zu helfen weiß. Vor diesem Hintergrund verwundert sein Drang nach dem Doktortitel nicht so sehr, kann doch eine akademische Würde auch der nicht-universitären Karriere förderlich sein, ebenso wie das Vortäuschen der Entscheidungsstärke auf Kosten der Untergegebenen, von einem inszenierten Medienauftritt, etwa im „Format“ eines belanglosen Wüstengesprächs mit einem Entertainer, ganz zu schweigen.
Es kommt hinzu, dass die meisten Bürger hierzulande zu Guttenberg haben wollen. Sollte er eines Tages tatsächlich auch noch Bundeskanzler werden, wird Deutschland diesen Regierungschef verdient haben, so wie die Russen Putin, die Italiener Berlusconi, die Franzosen Sarkozy und die Polen Tusk. (Die Liste lässt sich fortsetzen – unwichtig ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Putin ein Diktator und chronischer Rechtsbrecher ist, während die anderen lupenreine Demokraten abzugeben versuchen). Jene Politiker, die sich den billigen Wünschen des Volkes nicht anpassen, haben eben heute kaum Chancen. Winston Churchill konnte noch behaupten, dass nichts den Glauben an die Demokratie so unterminiert wie ein Treffen mit dem Durchschnittswähler, und trotzdem regieren. Heute hätte ein dicker Zigarrenraucher in der Politik der meisten demokratischen Länder kaum was zu suchen, auch hierzulande nicht, wo sich das Volk offenbar – fern aller politischer Inhalte – eine Mischung aus einem Prinzen und Superman (unbedingt mit verpiegelter Sonnenbrille) wünscht. Von dem Hintergrund des andauernd billigen Zeitgeistes verwundert es nicht, dass zu Guttenberg populärer als Angela Merkel wurde. Diese ist zwar auch keine überragende Regierungschefin und somit mit Churchill gar nicht zu vergleichen, aber sie verbirgt zumindest nicht, dass sie echt ist.
Ist es wirklich zu erwarten, dass die Chancen des Verteidigungsministers, irgendwann Bundeskanzler zu werden, wegen einer teils abgeschriebenen Dissertation kleiner werden? Diese Erwartung ist gewiss verfrüht – dafür ist er zu glatt gekämmt. Wenn das Volk diese Frisur mag, wird er das Volk auch regieren können. Die eigentliche Affäre um zu Guttenberg besteht darin, dass an einer autonomen deutschen Universität einer Mischung aus Journalismus und Wissenschaft eine außergewöhnliche Leistung (summa cum laude soll schon Genialität andeuten) attestiert worden ist.
Schaut man noch genauer hin, muss man freilich erkennen, dass es gar keine Affäre gibt. Wer hat gesagt, dass Professoren im Gegensatz zu den Politikern vom Volk abgekoppelt sein sollten?