18.10.2024

Ein Interview mit meiner Wenigkeit für TAGESSPIEGEL über Tusks Pläne, gegen die polnische Verfassung das Asylrecht auszusetzen.

 

Da es unter firewall ist, hier der Text


Polen will EU-Asylrecht aussetzen
„Tusk ist für Schläge unter die Gürtellinie bekannt“
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Polen will das Recht auf Asyl vorübergehend aussetzen. Was hat dazu geführt, Herr Maćków?
„Es ist nicht Polen, sondern der polnische Premierminister Donald Tusk, der ein Schwergewichtsboxer mit einer Vorliebe für Schläge unter die Gürtellinie ist. Einerseits hat er mit seinem Plan seine absolute Dominanz in der von ihm geführten Koalitionsregierung besiegelt.“
Wie das?
„Er hat er seine linken Koalitionspartner in dieser Frage überhaupt nicht konsultiert. Ihre Kritik an Tusks Vorhaben verging am Wochenende nach ein paar Stunden, weil ihnen bewusst geworden ist, dass sie vorgezogene Wahlen nicht überstehen würden.
Andererseits liebäugelt Tusk mit einer Kandidatur für das Präsidentenamt im nächsten Jahr. Mit dem Migrationsthema könnte er den Kandidaten der PiS, die ins demografisch sterbende Polen auf legalem Wege hunderttausende ausländische Arbeiter geholt hat, erfolgreich angreifen. Last but not least: Tusk kann auch Konflikte mit Deutschland politisch gut gebrauchen.“
Inwiefern?
„Die Bundesrepublik kritisiert das harte Vorgehen der polnischen Behörden an der Ostgrenze der Europäischen Union immer noch, obwohl es selbst Grenzkontrollen verhängt hat - ohne übrigens Polen darüber vorab zu informieren. Das ruft in Polen Empörung hervor.“
Kann Polen denn einfach das EU-Asylrecht aussetzen?
„Es ist traurig zu sagen, aber wir wissen immer weniger, was in der EU zulässig und was ein No-Go ist. Angela Merkel hat doch 2015 das EU-Recht – das Dublin-Abkommen – selbst ausgesetzt. Und das mit verheerenden Folgen für die EU. Tusk dagegen kann immer betonen, dass Polen die EU-Europäer vor den durch Russland gesteuerten illegalen Migranten, die jeden Tag hundertfach die belarussisch-polnische Grenze gewaltsam stürmen und bereits einen polnischen Grenzsoldaten umgebracht haben, verteidigt.“
Aber wie soll das rechtlich gehen?
„Die polnische Verfassung enthält zwar das Recht auf politisches Asyl, aber sie überlässt deren Gestaltung dem Parlament. Wahrscheinlich spricht Tusk deshalb von einer ‘territorialer Aussetzung des Asylrechts’. Wenn das Letztgenannte lediglich in einem Landstreifen an der polnischen Ostgrenze nicht gelten sollte, würde es trotzdem gelten, oder? Als politischer Schwergewichtsboxer kann man bekanntlich auch einfach mal versuchen, einen Schlag unter der juristischen Gürtellinie zu landen. Darin ist der polnische Premierminister geübt.“
Riskiert Polen damit ein Zerwürfnis mit der EU?
„Die EU bedeutet in diesem Fall die Europäische Kommission, die mit ihrer Vorsitzenden Ursula von der Leyen Tusk in seinem Wahlkampf zwar indirekt, aber dennoch stark unterstützt hat. Sie müsste das Anliegen der Aussetzung des Asylrechts vor den Europäischen Gerichtshof zur Klärung bringen, auf dessen Urteil man lange warten würde.
In der Zwischenzeit würde vielen EU-Bürgern, die die Migrationspolitik der EU für falsch und/oder für gescheitert halten, in Donald Tusk einen – endlich – glaubwürdigen europäischen Politiker sehen, der ja sogar ein Vorsitzender des Rates der Europäischen Union gewesen war.“
Sie meinen also, dass sich Ursula von der Leyen deshalb nicht auf einen Konflikt mit Tusk einlassen würde?
„Genau. Es ist meiner Meinung nach schwer anzunehmen, dass sich die Kommissionsvorsitzende auf einen Kriegspfad mit ihrem ehemaligen Verbündeten begeben würde. Hinzu kommt, dass die deutsche Regierung, von der sie unterstützt wird, aktuell in der EU schwach ist. Das ist übrigens auch deshalb der Fall, weil sie die Migration nicht in Griff bekommt.“
Jerzy Maćków ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Regensburg. Zuletzt von ihm erschienen: „Der Krieg um die Ukraine und der Frieden in Europa“, Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2023.